Eisenkinder
Einbindung in »staatliche Institutionen« zurück. Staatliche Institutionen, das klingt, als wären Kinderkrippen Gefängnisse gewesen. Ausbildungslager für kleine Neonazis. Das Tora-Bora des Ostens.
In einem Artikel der taz , in dem darüber geschrieben wurde, dass das Jenaer Trio auch im Westen Unterstützer hatte, ist von westdeutschen und ostdeutschen Nazis die Rede, als ob es einen großen Unterschied gäbe.
Eine Zeit lang gab es die neuen Länder, jetzt gibt es nur noch Ostdeutschland, und dieses Land ist für viele Westdeutsche ein fremder Planet. Was ist dieses Ostdeutschland? Ist es ein Krisengebiet, wie Spiegel Online titelte? Ostdeutscher zu sein ist ein Label, das an einem klebt, das man nicht loswird, selbst wenn man nur einen Bruchteil seines Lebens dort verbracht hat, selbst wenn man sich bemüht. Man ist immer Ostdeutscher, auch wenn man nach Hannover zieht, wie einer der Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds von Uwe Mundlos. Er ist vor vielen Jahren aus Jena in den Westen gezogen, bleibt in den Medien aber der »ostdeutsche Neonazi«.
Selbst wenn man deutsche Bundeskanzlerin wird, bleibt das Label. Wenn Angela Merkel etwas falsch macht, wenn sie zögert, Risiken scheut, dann ist sie ganz schnell wieder die angepasste Ostdeutsche. Es ist immer der gleiche Reflex: Sobald ein Problem in Ostdeutschland auftritt, wird es zu einem »ostdeutschen« Thema. Man stelle sich das umgekehrt vor: Die großen Kindesmissbrauchsskandale wurden in Hessen und in Westberlin aufgedeckt, trotzdem gilt die Pädophilie nicht als westdeutsches Phänomen. Der Ostdeutsche wird wie der Türke zum Fremden gemacht. Beide machen den Westdeutschen nur Ärger, stören die Idylle. Der Ostler verprügelt Türken, und der Türke verprügelt seine Frau und seine Töchter. Die Westdeutschen schauen jeweils aus der Distanz zu. Sie müssen nicht über sich selbst nachdenken.
Mit der Debatte um die Zwickauer Terrorzelle wurden die Gräben zwischen Ost und West wieder aufgerissen. Dieses Buch soll einen anderen Blick liefern. Es soll um die Wendegeneration gehen, die letzten Kinder der DDR , die zum Mauerfall zwischen 8 und 16 Jahre alt waren, eine Generation, zu der Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehören – und zu der ich gehöre.
Wenn es etwas gibt, das diese Generation gemeinsam hat, dann ist es ein Unbehagen, eine tiefe Verunsicherung, eine stille, unterschwellige Wut.
Woher kommt dieses Unbehagen? Wie war es, in den neunziger Jahren aufzuwachsen? In diesem grauen Jahrzehnt, in dem die DDR noch nicht verschwunden und ein neues Deutschland noch nicht entstanden war? In dem Behörden nicht funktionierten und Arbeitslosigkeit grassierte? Was bedeutete es, mitten in der Pubertät von überforderten Eltern und Lehrern alleingelassen zu werden? Seine Jugend mit einem Schlag zu verlieren? Wie viel DDR steckt in der Generation? Was hat sie mehr geprägt, die DDR oder das vereinigte Deutschland? Warum kam ich in der Bundesrepublik an – und andere nicht?
Ich will mich auf eine Reise in die Vergangenheit machen und nach Spuren suchen, nach Verbindungen und Mustern. Ich lese alte Briefe und Tagebücher, ich fahre nach Eisenhüttenstadt und Jena, ich treffe alte Weggefährten, Mitschüler, Lehrer. Ich will etwas über mich und meine Generation erfahren – die Eisenkinder.
Die Aktivisten
Ich verlasse die Autobahn vor der polnischen Grenze und biege auf eine Landstraße. Sie führt durch Dörfer, vorbei an endlosen Feldern und Kiefernwäldern. Es gibt schönere Bäume als Kiefern, aber sie wachsen gut auf den Sandböden, sie sind anspruchslos, widerstandsfähig, so wie man sein muss, um es hier auszuhalten. Das gilt auch für die Menschen. Die Natur ist sparsam in dem, was sie gibt. Vierzig, fünfzig Meter schießen sie hoch, dürre Stangen, von denen man meint, der Wind müsste sie umreißen.
Schneller als erwartet finde ich mich mitten in der Stadt wieder, die vor vielen Jahren aus den Sandböden gestampft wurde. Eine Vorzeigestadt des neuen Staats. Hier sollte nach dem Krieg der neue Mensch geformt werden, der siegessicher und stolz in eine bessere Zukunft marschiert, in der Ausbeutung und Unterdrückung überwunden sind. Die erste sozialistische Stadt, so nannten sie Eisenhüttenstadt.
Ich passiere einen Betonklotz, der auch in Bukarest oder Warschau stehen könnte, davor informiert ein Schild, dass es sich um ein Hotel mit dem Namen »Berlin« handelt. Früher hieß das beste Hotel in Eisenhüttenstadt
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