Abenteuer im Ferienlager
1. Der Dieb
Der Zug ratterte. Gellend pfiff die Lokomotive. Telefonmasten flitzten am Abteilfenster vorbei. Vor einem backsteinroten Bahnwärterhäuschen standen Kinder und winkten.
Gaby, die einen Fensterplatz hatte, winkte zurück. Neben ihr rutschte Karl unruhig auf seinem Sitz hin und her. Schon zum dritten Mal sah er auf die Uhr.
»Wir müssen gleich da sein«, verkündete er.
Tarzan nickte. Er saß Gaby gegenüber und hatte seine langen Sprinterbeine ausgestreckt. Scheinbar gleichmütig sah er in die flache Landschaft hinaus. Kühe weideten auf fetten Wiesen. Und in der Ferne, dort, wo der graublaue Abendhimmel an den Horizont stieß – dort musste das Meer sein: die Nordsee.
Klößchen, auf dem Platz neben Tarzan, richtete sich plötzlich steil auf.
»Um Himmels willen! Wisst ihr, was mir einfällt!« Jetzt sah er seine Freunde von der TKKG-Bande an. »Wenn wir zu spät ankommen im Ferienlager – und die dort schon gegessen haben, dann...« Der fürchterliche Gedanke verschlug ihm die Sprache: »Dann... dann kriegen wir nichts mehr. Kein Abendessen! Und das nach so vielen Stunden anstrengender Bahnfahrt.«
»Beruhig dich!«, sagte Tarzan. »Im Ferienlager werden wir bestimmt nicht verhungern. Die wissen dort: Seeluft macht Appetit. Sogar du wirst endlich mal zulangen!«
Gaby und Karl lachten. Auch Klößchen lächelte gutmütig über den Spott. Denn dass er, der Nimmersatt, Seeluft als Appetitanreger brauchte, war wirklich ein Witz.
»Bin ich aufgeregt!«, sagte Gaby. »Das ist unsere erste gemeinsame Ferienreise. Toll! Das verdanken wir Karl. Noch toller! Und ausgerechnet in ein Ferienlager für Kinder und Jugendliche direkt an der Nordsee fahren wir.Am tollsten!«
Sie sprang auf. Sofort hob Oskar, ihr schwarz-weißer Cockerspaniel,den Kopf. Schlafend hatte er ihr zu Füßen gelegen. Aber jetzt teilte sich ihm Frauchens Aufregung mit.
Gaby nahm ihre Umhängetasche aus dem Gepäcknetz, holte einen großen Kamm hervor und brachte ihr langes, goldblondes Haar in Ordnung. Aus den Augenwinkeln sahen die Jungs ihr zu. Und jeder dachte: Sie wird auch im Ferienlager die Hübscheste sein. Ist sie ja überall.
Ein schriller Pfiff. Merklich verlangsamte der Zug das Tempo. Jetzt ging’s in die Kurve.
Tarzan presste den Kopf an die Scheibe und blickte voraus. Es war so weit. Er sah die ersten Häuser des Nordseebades, den Bahnsteig und Reisende, die auf den Zug warteten.
»Freunde, der große Moment naht. Der rote Teppich ist ausgerollt. Die Blaskapelle steht bereit. Kurz: Man weiß, dass wir kommen.«
Seine Freunde lachten, denn abgesehen vom Leiter des Ferienlagers, das ein Stück außerhalb des Nordseebades lag, wusste kein Mensch von ihrer Ankunft.
Jetzt ging es hopp-hopp. Koffer, Taschen und Rucksäcke wurden aus dem Gepäcknetz genommen – und Oskar an die Leine. Tarzan schleppte die Hälfte von Gabys Gepäck und sah aus wie ein Kuli. Aber das machte ihm nichts – war er doch bärenstark; und für Gaby tat er ja alles. Sie kümmerte sich um Oskar, der dringend mal das Bein heben musste.
Jetzt fuhr der Zug in den Bahnsteig ein. Bremsen kreischten. Dann standen die Räder still.
Die vier Freunde drängten durch den Gang zur Tür. Über Lautsprecher wurde die nächste Abfahrtszeit bekannt gegeben. Oskar jaulte auf, als Klößchen ihm versehentlich auf eine Pfote trat. Gaby puffte Klößchen in die Rippen; und er entschuldigte sich hastig, bei ihr und auch bei Oskar.
Voller Erwartung und vor Freude auf eine hoffentlich tolle Zeit im Ferienlager verließen die vier unzertrennlichen Freunde der TKKG-Bande den Zug.
Am 3. Juli schrieb Tarzan in sein Tagebuch:Gestern Abend sind wir in T. angekommen. Der Ort ist dufte – so ein richtiges Nordseebad. Das Ferienlager liegt ein bisschen entfernt, eine Viertelstunde mit dem Rad. Leihräder gibt’s hier. Natürlich haben wir uns die gleich besorgt. Ein Dutzend Häuser auf einem Wiesengelände »hinterm Wäldchen« – das ist das Ferienlager. Wir riechen die See. Nachts hören wir sie auch. Aber um das endlose Meer zu sehen, müssen wir auf den Deich klettern.
Karl, Klößchen und ich haben eine Bude für uns: Drei Feldbetten, die als Trampolin gut wären, und schmale Schränke. Gaby schläft im Obergeschoss mit zwei Mädchen zusammen, die aber jünger sind – zehn und elf. Sie darf Oskar im Zimmer halten. Er ist der einzige Hund im Lager.
Wie wir von einem Betreuer hörten – er ist Student, sieht verhungert aus und hat einen Bart wie Rasputin
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