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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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Pflichten Eleanor gegenüber und seine schlechte Verfassung, die von seinem eigenen geheimen Leiden rührte, hatten alle Versuche vereitelt. Auch jetzt warfen ihm die beiden Matrosen an Deck, deren Namen, wenn er sich nicht irrte, Jones und Jeffries lauteten, Blicke voll unverhüllter Boshaftigkeit zu, die er trotz ihrer wollenen Umhänge und der um die Gesichter geschlungenen Lumpen nicht missdeuten konnte.
    »Wie war das noch, Lieutenant«, sagte der Kapitän, »was für Geschäfte hatten Sie doch gleich nach Lissabon geführt?«
    In Portugal hatte Sinclair die Passage gebucht.
    »Diplomatische Angelegenheiten«, erwiderte er, »die äußerster Diskretion bedürfen. Selbst jetzt darf ich Ihnen keine Auskunft darüber geben.«
    Der Wind wurde stärker und peitschte das zerfetzte Segel um die Beine des Kapitäns. Breitbeinig stand Addison da und umklammerte das Steuerrad mit beiden Händen. Im Schein des Nachthimmels wirkte das Bild auf Sinclair wie ein Daguerreotyp, ohne jede Farbe, reduziert auf ein Spiel aus Schatten und Grautönen.
    »Hat sich Ihre Gattin dort auch schon nicht wohlgefühlt?«
    Sinclair wusste, dass erst ein paar Jahre zuvor eine Seuche die Stadt heimgesucht hatte.
    »Ich kann Ihnen versichern, dass die Krankheit meiner Frau nicht ansteckend ist. Es ist ein inneres Leiden, das wir behandeln lassen werden, sobald wir Christchurch erreicht haben.«
    Sinclair sah, wie einer der Matrosen, Jones, dem anderen einen Blick zuwarf, der eindeutig sagte: »
Wenn
wir Christchurch erreichen … « Diese Frage quälte Sinclair gleichfalls. Sollten sie so weit gekommen sein, nur um im Eismeer zugrunde zu gehen?
    Addisons nächste Worte wurden von einer plötzlichen Böe verschluckt, unter der die Segel sich blähten und die Masten knarrten, die ihnen jedoch auch einen außergewöhnlichen Anblick bescherte. Ein gigantischer Vogel stieg über ihnen in die Höhe. Ein Albatros. Sinclair hatte noch nie zuvor einen gesehen, doch er hatte in Coleridges wundervollem Gedicht davon gelesen und wusste, dass es sich um einen solchen handeln musste. Der Vogel schwebte über ihnen. Der Unterbauch war weiß, der lange Schnabel schimmerte rosa, und die ausgestreckten Flügel hatten schwarze Spitzen. Sinclair schätzte ihre Spannbreite auf nicht weniger als drei bis dreieinhalb Meter. Trotz des wütenden Sturms behielt der Vogel seine Haltung äußerster Gelassenheit bei, kreiste um den Mast und manövrierte in den unsichtbaren Luftströmen allein durch kleine Bewegungen der Füße.
    »Ein Gony«, sagte Jones und benutzte den Namen, den die Seeleute dem Tier gegeben hatten. Jeffries nickte dankbar. Der Albatros galt als gutes Omen und brachte nur jenen Unglück, die versuchten, ihm etwas anzutun.
    Eine Woge erfasste das Schiff; der Rumpf knirschte, als er auf zerberstende Eisschollen aufschlug, und Sinclair musste sich mit beiden Händen an einem Tau festhalten, um sicheren Halt zu finden. Der Albatros schoss herab, über den Bug der Schaluppe und auf die zitternde Rah zu. Dort ließ er sich nieder, zog die
Flügel ein und krallte sich am schlüpfrigen Holz fest. Sinclair bestaunte das Tier. Wie konnte ein so großer Vogel überleben, wenn er unzählige Meilen weit über nichts als rollende See und Eisschollen dahinflog, über sich nur schwere Wolken?
    »Captain, Sir! Captain Addison!«
    Sinclair wandte den Kopf und sah Burton von unten auf das Deck klettern. Sein gefrorener Bart war steif wie eine Planke. Direkt hinter ihm folgte Farrow, der etwas unter seiner dunklen Jacke aus Robbenfell verbarg.
    Breitbeinig, um das Gleichgewicht zu halten, kam Burton auf das Steuerrad zu, ohne auch nur einen Blick in Sinclairs Richtung zu werfen. »Ich habe eine Meldung zu machen, Sir!«, bellte er. »Von großer Wichtigkeit.«
    Sinclair musste den Hals recken, um etwas erkennen zu können, da Burton und Farrow ihm die Sicht zu versperren versuchten. Er sah etwas aufblitzten – Glas? – und hörte die Männer leise tuscheln. Addison hielt die Hand in die Höhe, als wollte er sie beruhigen, dann blickte er auf das Beutestück, das sie mitgebracht hatten. Sinclair konnte es jetzt ebenfalls erkennen, und zu seinem Entsetzen sah er eine Weinflasche mit dem Etikett
Madeira
.
    Der Kapitän sah verwirrt aus, dann entrüstet, weil man ihn mit solcherlei Lappalien belästigte. »Sehen Sie selbst, Captain!«, drängte Burton, doch Addison zeigte sich immer noch unwillig. Mit den Zähnen zog Farrow einen Handschuh aus, entkorkte die Flasche mit

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