Eiskalte Hand (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
zügig der Stadt näherte. Was wollten die denn hier mitten in der Nacht? Schnell verschanzten sich die Wächter vor dem Tor hinter den hölzernen Barrikaden, die sie dort schon vor einer Ewigkeit errichtet hatten, die Speere auf die Ankömmlinge gerichtet. Huan ließ seinen Trupp rund dreißig Meter vor dem Tor halten. Dann ritt er zusammen mit Wilja und einem weiteren Offizier im Schritttempo auf die Wächter zu, den rechten Arm zum Gruß erhoben. Er wollte die Wächter nicht beunruhigen und womöglich zu Dummheiten provozieren. Andererseits wollte er ihnen aber auch keine Zeit geben, lange nachzudenken. Das Überraschungsmoment sollte auf ihrer Seite bleiben.
Als er im Schein der Laternen angekommen war, setzte er sich auf seinem Pferd in Pose und tönte laut und deutlich, so dass auch die Soldaten oben auf dem Tor ihn hören konnten: „Öffnet augenblicklich das Tor und führt uns zu eurem Kommandanten. Es geht um Leben und Tod.“ Dabei schlug er einen Ton an, der absolut keine Widerrede zuließ. Unübersehbar zuckten die Wächter zusammen. Einer schaute den anderen an – in der Hoffnung, dass irgendjemand die Initiative übernehmen würde. Aber keiner fühlte sich zuständig. Einige blickten sogar demonstrativ in die Luft oder auf den Boden. ‚Wie peinlich!‘, dachte Huan und starrte die Wächter entgeistert an. „Wird’s bald?“, schnauzte er sie nun an und steigerte damit ihre Konfusion. „Macht sofort das Tor auf und führt mich zu eurem Kommandanten. Oder ihr werdet sehen, was ihr davon habt.“ Natürlich wusste der Leutnant, dass er nur bluffte. Aber das Risiko ging er gerne ein. Was hatte er schon zu verlieren? Die Soldaten standen nun da wie kleine Schuljungs. Hilflos und verstört. Einer von ihnen sah sogar aus, als ob er gleich anfing zu heulen. ‚Oh Mann!‘ Huan war regelrecht angewidert von diesen angeblichen Soldaten. So etwas hatte er noch nie zuvor erlebt. Gerade wollte er zu einem weiteren energischen Befehl ansetzen, als ein knarrendes Geräusch ertönte. Einer der Torflügel setzte sich geräuschvoll in Bewegung und schwang mühsam auf. Augenblicklich gab der Leutnant das Kommando und der gesamte Trupp ritt in die Stadt ein, bevor irgendjemand es sich anders überlegen konnte. ‚Das wäre also schon mal geschafft.‘
Wenig später erreichten Huan und zehn seiner Soldaten das Empfangszimmer des Palastes. Ihnen gegenüber stand, umringt von Soldaten der Palastgarde, ein kleiner älterer Soldat mit wenig Haaren und einer viel zu lang geratenen Nase. Die Abzeichen auf seinen Schultern wiesen ihn als Oberst aus. Funiz war sein Name. Der Oberst wirkte sichtlich nervös. „Oh, das tut mir wirklich leid, hoher Herr.“, wandte er sich an den Leutnant, wobei er jedes einzelne Wort übertrieben betonte. Zudem gestikulierte Funiz wild mit seinen Armen. Huan musste sich zurückhalten, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Wollte der Kerl etwa Fliegen vertreiben? „Der Statthalter ist derzeit unpässlich und nicht in der Lage, euch zu empfangen. Kann ich vielleicht etwas für euch tun?“ Nun platzte Huan der Kragen. Wutentbrannt machte er zwei Schritte auf den Oberst zu. Die Palastgarde stellte sich schützend vor ihren Befehlshaber, die Hände an die Griffe ihrer Schwerter gelegt. Doch Huan ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. „Für wie dämlich haltet ihr mich eigentlich?“, schrie der Leutnant den kleinen nervösen Mann an, „Meint ihr nicht, dass ich längst weiß, dass euer feiner Statthalter sich heute Nacht aus dem Staub gemacht hat?“ „Äh, ich… Wisst ihr…“ Mehr als ein unzusammenhängendes Gestammel brachte Oberst Funiz nicht zustande. Huan ging noch einen Schritt auf das Männchen vor ihm zu. „Dann lasst uns doch mal Klartext reden. Und hört genau zu; denn unser aller Überleben hängt daran.“ Mit einem eindringlichen Blick, den Huan sich selbst kaum zugetraut hatte, unterrichtete er den Oberst von der aktuellen Lage. Natürlich ließ er es sich nehmen, die Situation so drastisch und bildhaft wie möglich dazustellen. Und seine Worte zeigten Wirkung. Oberst Funiz lauschte wie gebannt dem, was Huan zu sagen hatte, die Augen und den Mund weit aufgerissen. Zwischendurch brachte er immer wieder krächzende Laute oder einzelne Ausrufe zustande wie „Nein…doch…ooh!“ Schließlich kam der Leutnant ans Ende seiner Ausführungen. „…und wenn wir nicht sofort handeln, dann wird Mirana in wenigen Tagen nicht mehr existieren. Ausradiert von einer
Weitere Kostenlose Bücher