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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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Strahlung. Ich werde einen Geigerzähler mitnehmen und genügend Benzin und Werkzeug, ich habe alles ganz genau geplant. Es kann nichts schiefgehen. Die Welt muss erfahren, was aus den Menschen in Tschernobyl und in Prypjat geworden ist. Das findest du doch auch?«
    Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Seine Hand lag nun ruhig in ihrer. Er hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Sie verfiel in seinen Atemrhythmus, ein, aus, ein, aus, ein, und drückte seine Hand, damit er weitermachte. Ein, aus. Er wurde in der nächsten halben Stunde nicht mehr wach.
    Die Ärztin kam noch einmal ins Zimmer, fühlte seinen Puls, kontrollierte den Durchlauf der Infusion.
    »Gehen Sie nach Hause«, sagte sie. »Seine Frau wird gleich da sein.«
    Als die Ärztin hinausgegangen war, küsste sie Ilya noch einmal auf den Mund und verließ das Zimmer. Auf dem Gang roch es wie beim Zahnarzt. Alles war grau: Wände, Decken, Böden, Sitzbänke, die Kittel der Ärzte und Schwestern, die Krankenbetten mit ihren Gummirollen. Das Linoleum war dünn und schimmerte leicht, wie ein abgetragener Anzug. Die Neonbeleuchtung wischte auch die Farbe aus den Gesichtern der Menschen. Es war nicht Tag und nicht Nacht. Lubas Schritte hallten durch die Gänge. Ihr Geheimnis. Nun sollte sie es also begraben, einen Sarkophag darüber erbauen wie über das Kraftwerk. Leb wohl, Ilya!
    Sie trat aus dem Krankenhaus hinaus in die frische Vorabendluft. Endlich konnte sie weinen.
    »Nein«, sagt sie noch einmal, »ein andermal vielleicht. Heute will ich nicht Schach spielen. Ich hab dich nicht aus der Zone herausgebracht, um dir beim Schach die Hosen auszuziehen. Bestell mir eine große Tasse Schokolade«, sagt sie und steht auf. Ihren Rucksack, in dem sich der Umschlag der Alten befindet, nimmt sie mit.
    »Schokolade? Du bist lustig! Bestell, was du willst: Wodka, Sekt, Hühnersuppe, egal. Du hast mir aus einer ziemlichen Patsche geholfen, da bin ich nicht knausrig.«
    »Ich würde sagen, ich hab dir den Arsch gerettet. So sieht’s aus. Mit einem Hühnersüppchen wirst du mir nicht davonkommen. Und Champagner gibt’s hier nicht. Du stehst jetzt einfach in meiner Schuld, und die Schokolade zahlst du sowieso, weil du heute das sagenhafte Glück hast, mit mir ins Puschkin gehen zu dürfen. Unter anderen Umständen, unter, sagen wir, normalen Umständen, wäre dir das nämlich nie gelungen.«
    »Na, danke. Ich hätte genauso gut zu Fuß gehen können. Was wäre das schon gewesen, ein paar Stunden marschieren, auch nicht viel mehr Zeit als die, die ich mit dir bei der Alten verplempert habe. Wer weiß, vielleicht war da noch viel mehr Strahlung als auf dem Weg zum Posten. Du hast mich ja nicht auf deinen Geigerzähler sehen lassen.«
    »Ich setz mich doch nicht mit dir ins Café, um mir deine dummen Sprüche anzuhören. Zu Fuß hättest du einen Tag bis zum Posten gebraucht. Du hättest im heißesten Teil der Zone übernachten müssen, und die nächste Woche hättest du gekotzt und gekotzt und gekotzt. So sieht es aus. Und jetzt gib es zu, jetzt gib es endlich zu, du verdammter Macho.«
    »Na gut. Kann sein, dass du mir den Arsch gerettet hast, und ich sage Danke, wenn dir das reicht. Und jetzt setz dich mal wieder. Die Leute schauen schon.«
    Luba dreht sich einfach um und geht durch das Lokal zu den Toiletten. An den benachbarten Tischen sieht man ihr hinterher. Und sie weiß, dass auch Wiktor ihr hinterhersieht.
    »Was hast du eigentlich in der Zone verloren?«, fragt er, als sie zum Tisch zurückkommt. Sie hat sich lange die Hände gewaschen und sich verboten, in den Spiegel zu sehen, vor dem sie sich immer die Lippen nachgezogen hat, mit dem Brombeerlippenstift, den Ilya so an ihr mochte.
    »Nur die leeren Straßen können es doch nicht sein. Ich glaub nicht, dass ein Mensch so blöd ist, sich nur wegen dem Spaß am Motorradfahren der Strahlung auszusetzen. Wer ist überhaupt diese Babuschka, die wir dort besucht haben?«
    »Wieso ›wir‹? Und was geht dich das eigentlich an? Welchen Grund gäbe es für mich, dir das zu erzählen?«
    »Vielleicht weil wir gerade dabei sind, uns besser kennenzulernen, und dazu gehört eben, dass man sich etwas voneinander erzählt, oder nicht? Ist das in deiner Generation nicht mehr so?«
    »Jetzt lenk mal nicht ab. Du willst mich also besser kennenlernen. Warum?«
    »Ich finde dich, na ja, ziemlich attraktiv eben, sexy. Außerdem hast du mir das Leben gerettet. Aber das hatten wir ja schon.«
    »Genau. Darauf

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