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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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Erbsenarmee. Wahrscheinlich war nicht nur das Gewicht, sondern auch die Stückzahl pro Packung identisch. Von der Erntemaschine direkt in die Fabrik, automatisches Waschen, Sortieren nach Größen, Schockgefrieren, Durchfrieren, Verpacken, Folienverschweißen. Transport im Kühllaster, Einlagerung im Kühlhaus, Auslieferung, Befüllung der Kühltruhen in den Discountläden. Dort Schiebetür auf, Packung raus, Schiebetür zu und zu Hause endlich in die Pfanne, alle gleich grün, gleich groß und ein bisschen fade im Geschmack. Aber wer konnte sich heute schon noch daran erinnern, wie frische Erbsen schmeckten?
    Als Meißner bei der Donau-Kühlung eintraf, hatten sich die Kollegen schon fast durch die gesamte Halle gewühlt und Berge von Tiefkühlkost durchsucht. Die gerade geöffnete Palette enthielt ein Sortiment an Fertignahrung, auch Erbsen, aber vor allem Pizza. Bauernpizza, las Meißner auf der Packung und betrachtete den Haufen Zwiebelscheiben auf einem Blasen werfenden weißlichen Käsebelag. Was waren das für Menschen, die auf so etwas Appetit verspürten? Das Auge aß doch schließlich mit.
    Brunner war der große Einsatzleiter, der Schweißhund, der voranlief, die Nase immer dicht am Boden. Er folgte seiner Fährte noch mit demselben Elan wie am Morgen, ließ nicht locker, zeigte kein Anzeichen von Müdigkeit.
    »Da hast du dir aber ein schattiges Plätzchen zum Nachdenken ausgesucht.« Marlu, die er bisher vergeblich gesucht hatte, hatte sich von hinten angeschlichen. »Das eine Regal noch, dann sind wir durch.«
    »Enttäuscht?«, fragte Meißner.
    »Nein, nur geschafft. Und du? Willst du mit eigenen Augen sehen, wie das hier ausgeht? Dich darüber freuen, dass du doch recht behältst?«
    »Für so kleinlich hältst du mich?«
    »Wenn wir nichts finden, wird der Eberl doch aus der U-Haft entlassen, oder?«
    »Das glaub ich nicht.« Brunner hatte sich zu ihnen gestellt. »Ich werde schon noch aus ihm rauskriegen, wo er sie versteckt hat. Wenn der ausgenüchtert ist, klopf ich mir den schon weich.«
    Doch es schien, als müsste Brunner vorerst noch nichts und niemanden weichklopfen. Sie waren bei der letzten Regalreihe im Kühlhaus angelangt, und irgendetwas war anders hier. Es war fast greifbar. Auch Meißner spürte es jetzt, obwohl er nicht dabei gewesen war, als sie Regal für Regal geleert und wieder befüllt hatten. Er hätte nicht sagen können, was der Auslöser dafür war. Andere Waren, andere Hersteller? Sahen die Paletten anders aus, war es die Folie, die anders gewickelt war, die einen minimal von dem der anderen Folien abweichenden Farbton oder vielleicht nur eine andere Millimeterstärke hatte. Hektik lag in der Luft, und die müden Beamten, die eigentlich schon ans Heimgehen gedacht hatten, an den Feierabend nach einem für sie ungewöhnlichen Arbeitstag in einem Kühlhaus als Verpacker und Lageristen, bekamen von irgendwoher neue Energie. Am Abend würde ihnen alles wehtun, als hätten sie die Paletten eigenhändig gehoben und herumgeschoben und per Hand mit Plastik umwickelt, aber das schien jetzt mit einem Schlag vergessen. Einer riss sich die Mütze vom Kopf. Die Haare platt gedrückt und schweißnass. Selbst die Gabelstaplerfahrer ließen sich von der Energie anstecken, die von dem letzten Hochregal ausging. Einer erzählte einen Witz. Auch Meißner streifte sich ein paar liegen gebliebene Handschuhe über.
    Wie zuvor fingen sie oben im Regal an und arbeiteten sich von links nach rechts und von oben nach unten vor.
    Im zweiten Regal von oben, in der mittleren Palette, entdeckten sie etwas, das ihnen in der gesamten Halle bisher noch nicht untergekommen war. Eine dunkelgraue Box aus Spezialkunststoff, der aussah wie dicht gepresstes Styropor. An den Seiten befanden sich oben und unten jeweils zwei Metallschließen. Deckel und Vorderwand konnten geöffnet werden. Die Seitenlänge der fast quadratischen Kiste betrug etwa sechzig, fünfundsechzig Zentimeter. Alle machten Platz für Brunner. Ihm sollte die Ehre zuteilwerden, den Deckel anzuheben. Es war immerhin seine Baustelle.
    Vorsichtig öffnete Brunner die Box und starrte hinein. Er sagte nichts, stand einfach nur da und starrte und presste schließlich die Faust auf den Mund. Da kamen auch die anderen einen Schritt näher. Einer schnäuzte sich, einer schüttelte den Kopf.
    Meißner pochte das Blut in den Ohren, am liebsten hätte er die Augen zugemacht oder weggeschaut. Eine grauslich schöne Leiche. Langes blondes Haar, die Augen wie

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