Ekel / Leichensache Kollbeck
noch leise und betont höflich, bemühte sich sanft um Rudolfs Gunst. Auch er blieb freundlich, ohne aber die inzwischen aufgebaute Distanz wieder zu verringern. Als er gähnend das Bettzeug auf der Liege zurechtmachte und damit ausdrückte, nicht zu einer Rückkehr ins eheliche Schlafgemach bereit zu sein, knurrte er: „Ich muß zur Frühschicht!“
Ehe Erika die Schlafzimmertür hinter sich schloß, fragte sie spitz: „Machst du dir morgen den Kaffee und das Pausenbrot selbst?“
„Nee, mach du mal. Noch sind wir verheiratet“, antwortete er. Am nächsten Morgen sprachen sie kaum miteinander. Wortlos bereitete sie sein Frühstück zu, packte Stullen und Thermoskanne in Rudolfs Tasche, während er sich rasierte. Danach verschwand sie wieder im Schlafzimmer. Ihr reserviertes Verhalten wunderte Rudolf keineswegs, es beeindruckte ihn auch nicht mehr. Wie immer verließ er kurz vor halb sieben das Haus.
Für den Abend nahm er sich vor, mit Erika die organisatorischen Dinge der Scheidung zu klären, denn es war klar, daß ihm das Wohnungsamt bei der angespannten Situation in Berlin nicht so schnell eine eigene Behausung zuweisen kann. Pünktlich um 16.45 Uhr verließ er den Betrieb. Auf dem Wege nach Hause kaufte er bei „Oma Anna“, einem kleinen Krämerladen in der Dirschauer Straße, ein paar Flaschen Bier, die er in einem Stoffbeutel verstaute.
Wenig später hatte er sein Wohnhaus erreicht. Im Treppenhaus kam ihm eine Nachbarin aus der ersten Etage entgegen, die sich mühte, ihren Kinderwagen nach unten zu befördern. Sofort war Rudolf zur Stelle, den Transport des sperrigen Gefährts selbst zu übernehmen. Dankbar nahm die Frau seine kleine Hilfe in Anspruch.
Zwei Minuten später, als er den Korridor seiner Wohnung betrat, bemerkte er Gasgeruch. Er erschrak: So’ne Scheiße, nicht schon wieder, war sein erster Gedanke. Eilig stellte er Beutel und Aktentasche ab, hielt den Atem an und stürzte in die Küche. Tatsächlich: Erika saß zusammengesunken und regungslos auf einem Küchenstuhl vor dem Gasherd. Deutlich zischte das Gas aus allen Brennern. Ihr Puls schlug schnell und deutlich. Diesmal schien sie wirklich ohnmächtig zu sein. Gerade wollte Rudolf die Brennerhähne schließen, da schoß ihm eine teuflische Idee durch den Kopf: Jetzt soll sie ihren Willen haben und krepieren! Mit mir nicht mehr! Ich haue ab! Er stürmte aus der Küche, verschloß die Tür. Draußen auf dem Korridor konnte er wieder durchatmen. Doch ab jetzt mußte er sich vorsichtig verhalten, durfte von niemand gesehen werden. Als er die Wohnungstür von draußen behutsam verschließen wollte, fiel ihm ein, daß es besser wäre, die alte Aktentasche mit der leeren Thermoskanne wieder mitzunehmen, da er diese ja immer bei sich hat, wenn er von der Schicht kommt. Es gelang ihm, unbemerkt das Haus zu verlassen. Sein Weg führte ihn direkt zur „Gulaschhütte“, seiner Stammkneipe an der Ecke Simon-Dach-Straße. Dort hielt er sich länger als eine Stunde auf, trank einige Glas Bier und Schnaps dazu. Die Ungewißheit, was nun passieren würde, quälte ihn, doch er nahm sich vor, die Dinge zu Ende zu führen.
Als er nach Hause kam, wurde er bereits von aufgeregten Nachbarn erwartet: „Aus Ihrer Wohnung riecht es nach Gas!“ Rudolf Wildenhain mußte alle Sinne zusammennehmen, damit die gespielte Bestürzung echt und überzeugend wirkte. Er öffnete die Wohnungstür, stürmte in die Küche. Einige Nachbarn folgten ihm: Fenster wurden weit geöffnet, der Haupthahn für die Gaszufuhr geschlossen. Man kümmerte sich um Erika, die zusammengesunken vor dem Herd saß, doch ihr Leben war bereits ausgehaucht. Auf dem Küchentisch lag ein beschriebener Bogen Papier:
„Lieber Rudi! Ich kann so nicht mehr weiterleben. Ich wünsche den Tod, weil es zwischen uns nie gut war. Vielleicht findest Du eine bessere Frau nach mir. Erika“
Die Nachbarn sprachen Rudolf Wildenhain ihr Beileid aus. Ein Arzt wurde herbeigerufen. Er hatte keinen Zweifel am Selbstmord Erikas. Später kam ein Kriminalist der VPI Friedrichshain, führte die Tatortbesichtigung durch, machte einige Fotos von der Toten, bat Rudolf, ihm den Abschiedsbrief zu überlassen, solange die Untersuchungen andauern würden, und stellte ihm viele Fragen über das mögliche Warum der Selbsttötung. Der Spuk dauerte fast zwei Stunden. Dann blieb Rudolf Wildenhain allein in der Wohnung zurück. Trotz aller Angespanntheit war er zufrieden, alles hat bestens geklappt. Keine Scheidung mehr
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