Ekel / Leichensache Kollbeck
Knauf herausragt. Die Klinge muß sich durch das Unterhemd hindurch tief ins Herz gebohrt haben, mutmaßen sie. Und die kleine Blutdurchtränkung des Hemdes in der Umgebung der Einstichstelle läßt ahnen, daß der große Teil des Blutes sich ins Körperinnere ergossen haben muß.
Angewidert verlassen die beiden Nachbarn das Grundstück. Wie ein Buschfeuer verbreitet sich die schreckliche Nachricht im Dorf: „Den alten Max ham’ se ermordet!“
Als die Kriminalpolizei und der Gerichtsarzt eintreffen, stehen bereits zahlreiche Gaffer am Grundstückszaun von Max Schedlow, damit ihnen ja nichts entgeht. Selbst hartgesottene Spurensucher fürchten Tatorte wie solche verwahrlosten Behausungen, doch die Arbeit muß getan werden. Der Doktor nimmt nur eine erste grobe Leichenschau vor und läßt den Toten in das Institut nach Jena überführen. Er will die Obduktion alsbald vornehmen. Mit Abschluß der Spurensuche am Tatort soll möglichst auch deren Ergebnis vorliegen. Bevor er nach Jena zurückkehrt, verkündet er den Polizisten die ersten Befunde der Leichenschau: Dies sei ein dubioser Fall, der aus dem üblichen Rahmen falle, weshalb nur vage Aussagen möglich seien. Mehrere Gründe sprächen gegen einen Suizid: Zum einen sei das Hemd durchstochen. Ungewöhnlich für Selbstmörder. Zum anderen führe der Stich durch das Brustbein hindurch abwärts ins Herz. Selbstmörder bevorzugen die Zwischenräume der Rippen, vermeiden das Durchstechen von Knochen und setzen aufwärts führende Stiche. Auch seien keine sogenannten Probierstiche vorhanden …
Der Doktor führt weitere Gründe an, die die Fragwürdigkeit des Falles begründen und gelangt zu dem Schluß: Der Stich muß mit einer Wucht erfolgt sein, die vermutlich durch die Kraft des alten Mannes nicht erreicht werden konnte. Eine Selbstbeibringung wäre daher gerichtsmedizinisch nicht nachzuweisen, und es sei nahezu gewiß, daß die Leichenöffnung kaum zu anderen Resultaten gelangt. Fazit: Die bisherigen Befunde weisen auf eine Fremdeinwirkung hin.
Nun ist kriminalistischer Spürsinn gefordert. Die Möglichkeit eines Mordes an dem alten Mann wurde bei der bisherigen Tatortbesichtigung nicht erwogen. Während der Kriminaltechniker im Dschungel des Unrats stundenlang nach Spuren sucht, wird die Nachbarschaft nach Max Schedlow befragt. Bald ist klar: Die Leute im Dorf tuscheln hinter vorgehaltener Hand, der Alte müsse durch Geschäfte und Knauserei mit den Jahren viel Geld angehäuft haben. Das könnte eigentlich ein klassisches Mordmotiv begründen. So leicht aber sind die Kriminalisten von dieser Version nicht zu überzeugen.
Als sie wenige Stunden später im Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik in Jena erscheinen, ist die Autopsie der Leiche Schedlows gerade beendet. Sie haben ein flaches, unförmiges Paket mitgebracht, das sie dem Doktor zeigen wollen. Doch der erklärt ihnen zunächst, daß Schedlow einen schnellen Tod hatte, weil das Messer das Reizleitungsystem des Herzens traf, das augenblicklich seine Funktion einstellte. Erst jetzt interessiert er sich für das merkwürdige Mitbringsel: Ein etwa armlanges, 30 cm breites Brett. In seiner Mitte befindet sich eine tiefe, glattgehobelte Längsfurche, die einige Zentimeter vor dem hinteren Brettabschluß endet. Dort ist mittels zweier fingerdicker Hölzchen eine primitive, doch sehr praktische Abzugsvorrichtung angebracht. Am vorderen Ende des Brettes sind, nahe der seitlichen Begrenzung, links und rechts große Ringschrauben befestigt. Ihre Ösen sind mit einem ziemlich dicken Gummiband verbunden.
„Könnte das ein Katapult sein, das sich der Alte gebastelt hat?“ fragen die Kriminalisten.
Neugierig beäugt der Doktor das merkwürdige Gerät und spannt den Gummi über die Abzugsvorrichtung. Jetzt ist eine solche Spannung erreicht, daß ein in die Furche eingelegter Gegenstand durch einen kleinen Druck am Abzug problemlos abgeschossen werden könnte. „Wo haben Sie das denn her?“ fragt er erstaunt.
„Aus dem Garten des Alten. Es lag dicht am Haus zwischen den Brennesseln, direkt unter dem offenen Küchenfenster“, lautet die stolze Antwort.
„Na, da kommt Freude auf“, triumphiert der Doktor, „das sieht doch ganz nach Selbstmord aus!“
Am nächsten Tag. In der Küche des alten Schedlow findet ein kriminalistisches Untersuchungsexperiment statt. Auch der Staatsanwalt ist zugegen: Das Küchenfenster wird geöffnet. Ein Kriminalist spannt das Katapult, natürlich ohne eingelegtes
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