El Camino Amable
nach Regen an, aber irgendjemand hatte nur den Brunnen angestellt. Bin dann erst (!) um 6.20 Uhr losgepilgert - ohne Kaffee, weil der Automat mein 2-Euro-Stück nicht annehmen konnte, und ging hinein in eine wunderschöne Morgendämmerung in Rosa und Hellblau.
Der Weg begann zuerst sehr steil, richtig anstrengend! Doch nachdem ich die erste Steigung bezwungen hatte, wurde mir der Camino recht lang, weil ich ja eigentlich unterwegs in einer Cafeteria frühstücken wollte. Aber in der Panadería, die ich nach zwei Stunden Laufen geöffnet vorfand, saß dann der Mensch, der mir schon gestern Abend unsympathisch war. Er hatte in dem Restaurant, in dem ich eigentlich essen wollte, den Kellner unendlich lange damit beschäftigt, ihm Kartoffeln aus der Küche zu verkaufen (die er dann später in der Pilgerküche gebraten hat) und ihn damit davon abgehalten, mich zu bedienen. Also bin ich gestern nach endlosem Warten leicht angesäuert wieder aus diesem Restaurant gegangen und habe anschließend außer ein paar Nüssen nichts gegessen. Das hatte er nun davon.
So ging ich nun also weiter und beschloss, beim Kloster Irache, das in meinem Wanderführer erwähnt wurde, an einem Weinbrunnen gemütlich zu picknicken. Ich stellte mir so ein Frühstück im Kloster richtig gemütlich vor: freundliche Mönche, die die müden Pilger gerne bewirten. Aber den Brunnen erreichte ich erst nach 21 Kilometern und die ganze Umgebung war eher nüchtern. Nichts mit Kloster in lauschiger Natur, langen Bänken mit fröhlichen Pilgern, frischem Brot, Käse und Wein, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es sind stattdessen zwei Zapfhähne an der Wand einer industriellen Weinkellerei, einer für Wasser und einer für Wein, und jeder Pilger kann sich dort kostenlos bedienen. Außerdem ist eine Webcam installiert, die das Treiben dort in alle Welt übermittelt. Also hab ich mich auf die Erde gehockt und ein trockenes Brötchen mit einem kleinen Schluck Wein dazu gegessen - mehr traute ich mich nicht, denn die Welt schaute ja per Webcam zu!
Danach ging es noch 10 Kilometer weiter bis zur Herberge in Villamayor de Monjardín. Die Landschaft war sehr bergig, aber wunderschön. Es blühte links und rechts am Wegesrand und man hörte die Vögel singen und zwitschern. Den ganzen Tag war es bedeckt, bis auf die letzte Dreiviertelstunde der Wanderung - und da ging es natürlich steil bergauf! Warum müssen die Kirchen und die Herbergen immer auf einem Berg liegen? Ich bin in der Herberge einer holländischen christlichen Gruppe untergekommen. Sie wird von sehr freundlichen jungen Leuten bewirtschaftet. Wir (fünf Pilger aus Deutschland, zwei Franzosen, eine Italienerin) und zwei Mädchen aus dem Stab der Herberge haben draußen gesessen, geklönt und sogar „Frère Jacques“ gesungen, weil dieses Lied in allen Sprachen, die die Anwesenden beherrschten, bekannt war. Bald war das Abendessen fertig - und es war hervorragend. Nach dem Essen, das sehr fröhlich und laut ablief, feierten die jungen Leute des Hostels mit allen, die wollten, eine kleine mehrsprachige Andacht.
Allmählich stellt sich ein Pilgergefühl ein.
4. Tag
Villamayor de Monjardín—Viana
Habe schlecht und wenig geschlafen. Frühstück gibt es um 6.15 Uhr. Vielleicht setzt mich dieser Zeitpunkt unter Druck. Egal. Ich stehe um 5.30 Uhr auf, eine Weile nach den beiden Diakonissen in meinem Zimmer, die doch tatsächlich den Wecker auf kurz vor halb fünf gestellt hatten. Ich finde, manche übertreiben es echt. Als ich mich dann kurz vor sechs auf die Treppenstufen vor dem Haus setze, kommen die Diakonissen auch heraus, setzen sich — im Dunkeln — unter das Zimmer des Essraums und halten zu zweit eine kleine Andacht. Sie singen zweistimmig, und nun ist es doch ganz schön, so zu sitzen und zuzuhören, während es langsam heller wird. Das Frühstücksbüfett ist reichlich und lecker, verzögert aber natürlich den Aufbruch.
Otto hat gefragt, ob ich diesen Tag mit ihm laufen würde, gleichzeitig aber behauptet, dass ihn noch niemand überholt habe. Das glaube ich — er ist etwa sechzig, durchtrainiert und läuft seit vier Wochen. Er ist in Deutschland gestartet und hat bereits mehr als 1000 Kilometer hinter sich! Also gut, wir laufen kurz vor sieben los, es ist fast hell. Die Morgenluft ist noch kühl — aber der Tag verspricht, heiß zu werden. Otto lebt seit drei Jahren in Portugal und er erzählt tüchtig aus seinem Leben. Es ist auch interessant, aber ich bin noch nicht so weit. Die
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