El Camino Amable
die zum Teil schon abgeernteten Weizenfelder leuchten. Das Gehen macht Spaß. Ich überhole sechs Pilger — ab jetzt wird gegrüßt! Es geht auf schmalen Feldwegen voran, die Beschilderung ist wirklich ausgezeichnet. Allmählich wird der Weg zu einem Trampelpfad durch die Macchia und es wird richtig steil. Ich bin froh, allein zu laufen. Kein Gespräch, kein Reden mit trockenem Mund, die Gedanken überall und nirgends, ich gehe mein eigenes Tempo... Es hat was, auch wenn ich den einen oder anderen Eindruck gern mit jemandem teilen würde. Auf der Passhöhe bleibe ich kurz stehen, der Ausblick ist überwältigend.
Man schaut weit über die hügelige Landschaft, die im frühen Morgenlicht in zarten Farben schimmert. Noch sind einige der Weizenfelder nicht abgeerntet, der schmale Weg führt daran vorbei, bevor er zwischen Gras und pastellfarbenem Buschwerk fast verschwindet. Ich genieße die Aussicht - aber ärgerlicherweise sieht man noch immer die Fahne auf dem Turm der Herberge, von der aus ich aufgebrochen bin. Ich kann noch nicht weit gelaufen sein. Immerhin habe ich mir bis zur nächsten Herberge gut 20 Kilometer vorgenommen. Also! Der Abstieg geht durch einen steinigen Hohlweg, überall liegt loses Geröll und es ist schwierig zu gehen. Von oben sehe ich am Ende des Weges ein Wohnmobil stehen. Manche Leute müssen tatsächlich ihre ganze Umgebung im Urlaub mit sich rumschleppen! Ich bin stolz, dass ich mit lächerlichen zehn Kilo plus Wasser auskomme.
Als ich das Wohnmobil fast erreicht habe, kommt mir daraus ein älterer Herr freundlich entgegen: „Español? France? English?“ Und er erklärt mir auf Englisch, dass er sich als „Erste Hilfe“ für Pilger versteht. Er hat einen Verbandskasten und einen Werkzeugkasten für Radfahrer auf einem Campingtisch aufgebaut und bietet mir Kaffee und Kekse an. Toll! Es macht ihm sichtlich Freude, etwas für die Pilger zu tun. Ich schäme mich wegen meines Vorurteils von vorhin und genieße den ersten Kaffee des Tages. Es ist angenehm, nach zweieinhalb Stunden den Rucksack abzunehmen und sich unbeschwert hinzusetzen. Anschließend geht es auf schmalen Wegen weiter durch die Felder. Die Vögel singen und es gibt Schmetterlinge in allen Farben. Das Laufen geht unerwartet gut, ich merke aber meine Hüftknochen, wo der Tragegurt des Rucksacks aufsitzt und auf die Reißverschlüsse meiner Hose drückt. Nie wieder kaufe ich Hosen mit Nähten oder Reißverschlüssen über den Beckenknochen! Aber noch lässt es sich ertragen und so beschließe ich, den drei Kilometer langen Abstecher nach Eunate zu machen, um die berühmte kleine achteckige Templerkirche aus dem Mittelalter zu sehen.
Es wird langsam heiß, aber der Abstecher hat sich gelohnt. Die Kirche ist wirklich schön, schlicht und mit Blumen geschmückt. Es ist erholsam, aus der Hitze des Tages in die steinerne Kühle zu treten. Innen hört man Musik, wie schon gestern in der Malteserkirche der Herberge. Das ermöglicht allen, die es wünschen, eine Einstimmung auf Ruhe, Meditation oder Andacht. Draußen verabschiedet sich eine Gruppe junger Pilger auf Englisch, Französisch und Spanisch. Einer dreht sich noch einmal um und winkt mir fröhlich zu, richtig nett. Das versöhnt mich wieder mit der Muffligkeit der Pilger beim heutigen Frühstück.
Um 12 Uhr komme ich in der Herberge in Puente la Reina an und bekomme sofort ein Bett. Nach den guten Erfahrungen der letzten Nacht suche ich mir wieder ein Bett an der Wand und am Fenster. Nach dem Duschen und Wäschewaschen lege ich mich aufs Bett. Siesta — etwas anderes geht nicht. Heute ist Sonntag und es gibt nirgends etwas Essbares zu kaufen, und um draußen zu sitzen, ist es einfach zu heiß. Doch was ich bei meiner Ankunft noch als Vorteil gegenüber den Zimmern in der vergangenen Nacht gesehen hatte - Zimmer mit Türen —, erweist sich jetzt als tückisch, denn überall wird gelüftet, alle Fenster sind auf und ständig knallt irgendwo eine Tür. Ständig! Ich gehe dann nach einer Weile spazieren, setze mich an den Fluss und übe wieder, Zeit einfach vergehen zu lassen.
3. Tag
Puente la Reina—Villamayor de Monjardín
31 Kilometer habe ich heute geschafft! Und das am zweiten Tag. Aber von vorne: Das Aufstehen heute war etwas später, erst kurz vor 6 Uhr. Ich habe gestern Abend noch lange bei einem Bier mit Gila, einer Deutschen, und ihrer Wanderfreundin Annabel aus Frankreich geklönt. Heute Morgen wollte ich nicht gleich aufstehen, es hörte sich draußen
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