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El Camino Amable

El Camino Amable

Titel: El Camino Amable Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Curth
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leise Musik ist zu hören. Ein guter Ort, um auszuruhen.
    Es ist erst 14 Uhr — und nun?
    Ich glaube, meine schwierigste Übung auf diesem Weg könnte sein, Zeit auszuhalten, ohne etwas zu „machen“, zu schaffen oder herzustellen...

    Ich habe das den ganzen Nachmittag tüchtig geübt und mich eine Dreiviertelstunde lang in das schattige Portal einer Kirche gesetzt und nichts getan. Dann habe ich etwa eine Stunde auf einer schattigen Bank im Park gesessen — und nichts gemacht. Wirklich nur gesessen!
    Und nun ist es genug. Ich gehe in die Herberge zurück und koche mir ein Essen. Man kann alle Lebensmittel und Geräte in der Küche benutzen. Wer möchte, steckt eine Geldspende in einen Kasten. Und die erste Fremdsprache, die ich heute für eine Unterhaltung brauche, ist Norwegisch! Ein Norweger, der in Holland lebt, aber auch Spanisch spricht, unterhält sich mit mir beim Kochen. Ich wechsle aber dann doch sehr schnell auf Englisch.
    Satt und zufrieden mit dem bisherigen Verlauf meiner Reise setze ich mich vor die Tür und genieße den lauen Abend, während Fledermäuse durch die beginnende Dunkelheit huschen.

2. Tag

Cizur Menor—Puente la Reina

    Der Schlafsaal ist voll belegt, alle Räume gehen ohne Tür ineinander über. Als um 4.45 Uhr der Wecker meiner Bettnachbarin klingelt, kriege nicht nur ich das mit. Ich bin aber schon wach. Es ist stockfinster — wie wollen die zwei Mädels, die neben mir zwar leise, aber doch deutlich hörbar ihre Schlafsackreißverschlüsse auf- und zuzippen, bloß die kleinen Wegweiser und Jakobsmuscheln im Dunkeln erkennen?! Ich habe gut geschlafen und bleibe noch ein wenig liegen. Mein Bett steht an der Wand und direkt am offenen Fenster. Alles ist gut. Gegen 5.30 Uhr stehe ich leise auf. In der Küche sitzt schon eine Handvoll Leute beisammen und brütet dumpf vor sich hin. Niemand grüßt, lächelt oder spricht. Die hätten mal ausschlafen sollen!
    Die Regelung in der Küche ist klasse. Es sind reichlich Lebensmittel vorhanden (Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Nudeln, Tomaten, Brot, Marmelade, Kekse, Streichkäse, Tee, Kaffee, Milch, Eier, Obst). Jeder darf nehmen, was er möchte und kann eine freiwillige Spende geben. Außerdem muss jeder die Dinge, die er benutzt hat, auch abwaschen. Das hat gestern prima geklappt und heute Morgen auch. Nur, wenn acht Leute sich unabhängig voneinander ihr individuelles Frühstück zubereiten, ist das genauso, als ob das in meiner heimischen Küche (die etwa das Maß einer Telefonzelle hat) zwei täten — einfach eng.
    Alle hantieren schweigend, niemand sagt etwas. Der einzige freundliche Gruß stammt von der netten Herbergswirtin, die auf den Tisch ein Schild gelegt hat: „Buen Camino! Ultreya!“

    Und dann mache ich mich auf in den ersten „richtigen“ Pilgertag. Ich habe gestern Abend noch meine mitgebrachte Jakobsmuschel am Rucksack befestigt, damit alles stimmt. Eine Freundin hatte sie mir vor fünf Jahren geschenkt, nachdem wir uns einmal über den Jakobsweg unterhalten hatten. „Vielleicht kannst du sie ja irgendwann einmal brauchen“, hatte sie lächelnd zu mir gesagt, als sie mir die Muschel schenkte. All die Jahre hatte sie mit vielen anderen meine Fensterbank geschmückt, bis ich mich in diesem Frühjahr entschloss, den Jakobsweg zu gehen. Es war kein kurzfristiger Entschluss, aber lange vorbereitet war die Entscheidung auch nicht. Ab und zu war dieser Gedanke durch meine Urlaubspläne gegeistert, ohne dass er zu einem dringenden Anliegen wuchs. Wahrscheinlich muss die Idee, den Jakobsweg zu gehen, sich entwickeln, und es braucht immer wieder kleine Anstöße, bis die Zeit tatsächlich reif ist. Ist aber die Entscheidung erst einmal gefallen, bewegen sich die Gedanken wie in einem Sog fast automatisch auf dieses Vorhaben hin und der Jakobsweg wird zum Ziel. Ich kann auch nicht genau sagen, was ich von diesem Weg erwarte. Ich weiß nur, dass ich ihn gehen will. Vielleicht weiß ich hinterher, warum. Vielleicht wird mir unterwegs klar, was ich gesucht habe. Ich bin sicher, dass es stimmt, was andere von diesem Weg erzählen: Er gibt jedem genau das, was er braucht. Das macht mich gelassen.

    Es kann losgehen! Es ist jetzt 6 Uhr und dunkel, ich habe mir gestern schon mal angeschaut, wo’s langgeht. Erst einmal führt der Weg bergab, und langsam wird es heller. Die Luft ist kühl und ich laufe einfach los — und meine Gedanken auch. Es ist sehr angenehm, einfach alles „laufen zu lassen“. Gegen 7 Uhr geht die Sonne auf,

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