Elena – Ein Leben fuer Pferde
unseren Trainingsstunden ein vorläufiges Ende bereitet hatte. Und nun war es ganz vorbei. Am Morgen nach Lagunas’ Unfall und Rettung nämlich hatte ich Papa Fritzi vorgesprungen, und damit war das Kapitel Training mit Tim hinfällig geworden, denn Papa hatte voller Begeisterung beschlossen, mein Pferd nun selbst zu trainieren. Das war auf der einen Seite toll, auf der anderen Seite bedeutete es jedoch, dass es keinen Vorwand mehr gab, mich mit Tim allein zu treffen.
Ich ließ mich aus dem Sattel gleiten, führte Fritzi hinter mir her über die Wiese und setzte mich auf den alten Baumstamm, den Tim, Melike und ich mit vereinten Kräften vom Waldrand aus hierhergeschleift hatten, um ein weiteres Hindernis zu haben.
So viel war geschehen in den letzten Wochen – manchmal kam es mir so vor, als wäre ich in dieser Zeit um ein paar Jahre älter geworden. Ich nestelte die Kette mit dem Anhänger, die Tim mir bei unserem letzten Treffen geschenkt hatte, aus meiner Jackentasche und betrachtete das herzförmige Medaillon. Projekt Fritzi, hatte Tim auf die Rückseite gravieren lassen. Mit dem Daumen streichelte ich die Schrift und dachte an den Nachmittag, an dem ich voller Angst zur Wiese geritten war.
Tim hatte mir eine SMS geschrieben, die ich mal wieder nicht richtig verstanden hatte, denn ich war eine Meisterin im Missverstehen. Auf jeden Fall war ich davon ausgegangen, dass Tim mir sagen würde, er könne mich in Zukunft nicht mehr treffen.
Und dann war es so völlig anders gekommen, als ich befürchtet hatte! Tim hatte mir gestanden, dass er mich liebe, und er hatte mich geküsst! Ich schloss die Augen bei der Erinnerung an diesen unglaublichen, wunderbaren, magischen Moment, in dem die Welt für ein paar Sekunden stillgestanden hatte, und stieß einen tiefen glücklichen Seufzer aus. Nie zuvor hatte mich ein Junge geküsst, und auch heute erschien es mir noch immer wie ein Traum, denn Tim war der Schwarm aller Mädchen in der Schule und ich nicht unbedingt eine Schönheit, wie Ariane, unsere Klassenprinzessin.
Als Beweis dafür, dass ich das alles nicht bloß geträumt hatte, gab es die Kette mit dem Herzanhänger, die ich heimlich in meiner Jackentasche mit mir herumtrug wie einen Talisman. Ich traute mich nicht, die Kette um den Hals zu legen. Christian könnte sie entdecken und dumme Bemerkungen machen und Mama mit ihrem Röntgenblick würde sie auch nicht lange verborgen bleiben. Diese Heimlichkeit war der Wermutstropfen in meinem Glück. Außer Melike und Lajos wusste niemand von Tim und mir und so musste es wohl bleiben.
Ich schauderte bei der Erinnerung an den vergangenen Samstag. Meine ganze Familie war mit auf das kleine Turnier nach Sulzbach gefahren, wo ich Fritzi zum allerersten Mal in einer Springpferdeprüfung Klasse A gemeldet hatte. Eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass auch Papa und Christian dabei sein würden, trotzdem war ich bis dahin noch ganz cool gewesen, denn der Parcours war nicht sonderlich schwer und für Fritzi kein Problem. Aber als Melike mir auf dem Abreiteplatz zugezischt hatte, dass Tim auf der Tribüne in der Halle sitze, war mir vor Schreck beinahe das Herz stehen geblieben. Ich hatte am ganzen Körper gezittert und nach Sprung fünf den Parcours vergessen wie eine blutige Anfängerin!
Fritzi hätte das Springen locker gewonnen, aber nachdem ich aus Versehen Sprung sechs von der falschen Seite aus gesprungen war, hatte es geklingelt und ich war ausgeschieden. Papa und Mama hatten »Schade« gesagt und »Das war wohl die Aufregung«. Danach hatten sie kein Wort mehr über meinen peinlichen Auftritt verloren, nur Christian ließ keine Gelegenheit aus, mich damit aufzuziehen. Er hatte nämlich einen tierischen Zorn auf mich, weil er nicht länger im Mittelpunkt stand, sondern ich. Außerdem hatte ich mit Quintano sogar noch ein Berittpferd von Pferdehändler Nötzli bekommen. Das alles hatte meinen großen Bruder tief gekränkt. Sollte er jetzt noch herausfinden, dass Tim mich geküsst und mir eine goldene Kette geschenkt hatte, dann wäre es aus.
»Ach Tim, ich wünschte, du wärst jetzt hier«, flüsterte ich und küsste das Medaillon, bevor ich es wieder sicher in meiner Jackentasche verstaute. Ich kämpfte mit den Tränen. Wenn Tim nicht ausgerechnet »Jungblut« mit Nachnamen hieße und ich nicht die Tochter von Michael Weiland gewesen wäre, dann hätte ich jetzt zu ihm auf den Sonnenhof reiten, ihn sehen und mit ihm lachen können. Warum musste alles
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