Elena – Ein Leben fuer Pferde
Narbe an seiner Oberlippe und dem Grübchen im Kinn, doch er war leider auch der Sohn von Richard Jungblut, dem Feind meiner Eltern.
Viel zu schnell hatten wir das Ende der Galoppstrecke erreicht und ich musste Fritzi durchparieren. Der junge Hengst gehorchte sofort. Der Galopp hatte ihm gutgetan, er schnaubte ein paarmal und ging danach entspannt im Schritt. Twix holte uns ein, seine Zunge hing fast bis auf den Boden, er war über und über mit Schlamm bedeckt, aber er war glücklich.
Meine Gedanken wanderten zurück zum vergangenen Sommer, und ich schauderte bei der Erinnerung an die Zeit, in der sich mein ganzes Leben mit einem Schlag verändert hatte. Mein älterer Bruder Christian und ich waren auf dem Amselhof, der meinen Großeltern gehörte, in der Nähe des Städtchens Steinau, aufgewachsen; das Leben mit den Pferden war für uns eine Selbstverständlichkeit. Papa war einer der erfolgreichsten Springreiter ganz Deutschlands und beinahe jedes Wochenende auf irgendwelchen Turnieren unterwegs.
Ganz plötzlich hatte meine heile Welt Risse bekommen, denn mein Opa hatte, ohne dass jemand davon wusste, hohe Schulden bei der Bank gemacht, und eines Tages war der Gerichtsvollzieher auf dem Amselhof aufgetaucht und hatte damit gedroht, der Hof müsse zwangsversteigert werden, sollte Opa seine Schulden nicht zurückbezahlen. Nach zähen Verhandlungen mit der Bank und dem Steuerberater hatten Papa und Mama den Amselhof mitsamt Opas Schulden übernehmen müssen, sonst hätten wir den Hof verloren.
Von einem Tag auf den anderen war die Stimmung angespannt gewesen. Meine Eltern hatten große Sorgen und stritten dauernd. Viele Einsteller verließen den Amselhof und Papa hatte nach einem heftigen Streit mit Opa kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Ja, es war sogar so schlimm geworden, dass Mama ihren Koffer gepackt hatte und zu ihren Eltern nach Bonn gefahren war.
Fritzi war in dieser düsteren Zeit mein einziger Trost gewesen, aber ich hatte befürchtet, dass Papa ihn verkaufen könnte, wenn er erst erkannte, was für ein gutes Springpferd Fritzi war. Deshalb hatte ich ihn immer nur in der Halle geritten, wenn ich sicher sein konnte, dass Papa nicht auf dem Hof war.
Doch dann war Tim am Nachmittag des Vereinsturniers auf dem Amselhof aufgetaucht, er hatte sogar riskiert, von meinem Bruder, der Tim zutiefst hasste, gesehen zu werden. Ich hatte ihm Fritzi gezeigt, und Tim war auf die großartige Idee gekommen, mich und mein Pferd heimlich zu trainieren. Er hatte auf dem ehemaligen Hundeübungsplatz am Waldrand eine ideale Trainingswiese gefunden, eine Menge alter Hindernisse vom Sonnenhof seines Vaters dorthin transportiert und mit Melikes und meiner Hilfe einen Parcours aufgebaut. Seitdem hatten wir uns mindestens einmal pro Woche dort getroffen und Fritzi hatte dank Tims Unterricht unglaubliche Fortschritte gemacht.
Mein Herz wurde schwer bei dem Gedanken daran, dass es nun vorbei war mit dem gemeinsamen Training. Vor ein paar Wochen hatte Papa auf dem Turnier in Heidelberg Lagunas, sein allerbestes Pferd, für sehr viel Geld verkaufen können. Zwar hatte das die Rettung für den Amselhof bedeutet, aber Papa war trotzdem schrecklich traurig gewesen, denn Lagunas war sein Lieblingspferd.
Noch am gleichen Abend hatte es durch Christians Schuld einen dramatischen Unfall gegeben. Lagunas war in der Waschbox gestürzt und hatte nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen können. Nachdem alle verzweifelten Versuche, ihm zu helfen, gescheitert waren, war ich mit Fritzi durch den dunklen Wald zum Forsthaus geritten, um Papas alten Freund Dr. Lajos Kertéczy zu holen, der Lagunas das Leben und damit den Amselhof gerettet hatte.
Nicht zuletzt dadurch hatte ich erfahren, weshalb wir mit den Jungbluts verfeindet waren, aber ich hatte auch begreifen müssen, dass die Kluft zwischen den Familien von Tim und mir nahezu unüberwindlich war. In der Schule passte Christian wie ein Schießhund auf, dass ich nicht mit Tim sprach, und Tim selbst, der bei seinem Vater auf dem Sonnenhof nach der Schule mitarbeiten musste, hatte an den Nachmittagen überhaupt keine Zeit mehr. Nicht einmal in den Osterferien hatte es eine Gelegenheit gegeben, Tim zu sehen.
Ich seufzte tief. Fritzi stellte sofort die Ohren nach hinten und wartete auf mein Signal, anzutraben.
Eine Viertelstunde später hatten wir unsere Trainingswiese erreicht. Die Hindernisse standen noch genauso da, wie Fritzi und ich sie vor ein paar Wochen gesprungen waren, bevor der Schnee
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