Elena – Ein Leben fuer Pferde
lag. Ich wusste, dass sie gern mit mir ausgeritten wäre, um eventuell – rein zufällig – am Forsthaus vorbeizureiten, denn dort wohnte Dr. Lajos Kertéczy, für den sie heimlich schwärmte.
»Wir können auch noch morgen zu Lajos reiten. Er läuft dir schon nicht weg«, sagte ich zu meiner Freundin.
Sie wurde knallrot und zog die Nase kraus.
»Du bist doch echt doof, Elena Weiland«, erwiderte sie, musste aber auch grinsen. Melike konnte nie lange sauer sein.
Ich wollte ihr gerade von den beiden eigenartigen Typen erzählen, die vorhin im Stall herumgeschlichen waren, als mein Großvater mit sorgenvoller Miene hereinmarschiert kam.
»Hallo, Opa«, sagte ich. »Ist etwas passiert?«
»Ja, allerdings«, erwiderte er. »Jens’ Mutter hat eben angerufen. Jens hatte heute Morgen auf der Fahrt hierher mit seinem Auto einen schweren Unfall. Er musste operiert werden und liegt im Krankenhaus.«
»Ach du Scheiße!«, rief ich betroffen. Das war also die Erklärung dafür, weshalb der Aknefrosch heute nicht aufgetaucht war. Alles andere als eine gute Nachricht. Auch wenn Jens und ich nicht gerade dicke Freunde waren, so hatte er sich doch in den letzten Wochen mir gegenüber ziemlich anständig verhalten, besonders dann, wenn Christian mich schikanierte. Außerdem war er für Papa eine unverzichtbare Hilfe. Ohne einen Bereiter konnte Papa die Arbeit mit den vielen Turnier- und Nachwuchspferden kaum allein schaffen, schon gar nicht mitten in der Turniersaison.
»Weiß Papa das schon?«, fragte ich meinen Großvater besorgt.
Der schüttelte nur den Kopf und studierte die Tafel, die gegenüber der Sattelkammer an der Wand hing. Hier standen alle Namen unserer Pferde, und dahinter wurde notiert, was mit ihnen gemacht worden war: R für Reiten, L für Longieren, F für Führmaschine, G für Gelände, K für Koppel oder P für Paddock.
»Er hat leider sein Handy ausgeschaltet«, sagte Opa und kratzte sich ratlos am Kopf. »Am besten, wir bringen die Pferde, die Jens reiten sollte, in die Führmaschine. Helft ihr mir dabei?«
»Klar!«, riefen Melike und ich gleichzeitig. Ich hatte schon oft dabei geholfen, die Pferde in die große, überdachte Freilauf-Führmaschine zu bringen, in der sechs Pferde bequem im Kreis laufen konnten, und ich wusste, wer sich mit wem vertrug und wer nicht. Melike und ich holten aus der Sattelkammer Gamaschen und Sprungglocken und machten ein Pferd nach dem anderen fertig: Cotopaxi, Paradiso, Mister Magic, Intermezzo, Nevertheless und Calvador würden die erste Runde gemeinsam gehen.
»Ich muss jetzt Unterricht geben«, sagte Opa zu Melike. »Kannst du ein Auge auf die Pferde haben?«
Melike nickte. Sie wusste, dass die Pferde nicht gänzlich unbeaufsichtigt in der Maschine laufen sollten. »Ich reite dann später.«
Ich ging in den Stall und sattelte Sirius, mein Schimmelpony, das mittlerweile ein wenig zu klein für mich war. Aber ich mochte mich auch nicht von ihm trennen und versuchte, ihn so oft wie möglich zu reiten. Mit Sirius hatte ich viele Springplatzierungen errungen und auch einige goldene Schleifen und Pokale in E- und A-Springen. Ich fand, es wäre undankbar, das Pony nun einfach abzuschieben, nur weil ich zu groß geworden war.
Zehn Minuten später führte ich ihn in die Reithalle. Auf der Mittellinie standen schon die sieben Reitschüler mit den Schulpferden, verschnallten mit Opas Hilfe Ausbinder und Steigbügel und hatten zum Teil einige Mühe, in den Sattel zu kommen. Es war eine Anfängerreitstunde, und die Reitschüler waren ausschließlich Mädchen, deren Mütter auf der Tribüne saßen und zuschauten. Ich saß schon längst auf Sirius und wartete geduldig, bis es losging. Opa war immer froh, wenn ich diese Stunde mitritt, denn dann konnte er mich an den Anfang der Abteilung setzen.
Ich war in Gedanken wieder einmal bei Tim und hörte nur mit einem Ohr auf Opas Befehle. Antraben, leichttraben, durch die ganze Bahn wechseln. Absatz tief, Bein lang, Zügel kürzer fassen, gerade sitzen, nicht nach unten gucken, falscher Fuß!
Zuerst ging alles noch ganz reibungslos, aber plötzlich meinte Saphir, er könnte etwas Stimmung in die langweilige Reitstunde bringen. Er scherte aus der Abteilung aus und buckelte ein bisschen. Seine Reiterin, die höchstens zehn war, hatte keine Chance. Ihre Beinchen reichten kaum bis unter das Sattelblatt und Saphir war ein großes Pferd. Ich sah, dass Opa am liebsten gebrüllt hätte, aber bei den Kindern hielt er sich zurück, vor
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