Elf on Earth – Elfe Auf Erden
hätte. Dann war es in der Tasche verschwunden.
Ich bin zweifellos dabei, völlig durchzudrehen, dachte Thomas. Hoffentlich ist das wirklich nur Stress.
“War es hektisch heute? Sonst bist du doch schon hier, wenn Gabriel Schulschluss hat”, sagte Sylvia lächelnd, als sie die Tür öffnete.
“Ilona ist ausgezogen”, erklärte er.
“Wirklich? Das tut mir leid. Was du über sie erzählt hast, klang meistens ganz nett.”
“Kann sein – irgendwann früher.”
“Du bist verärgert”, stellte Sylvia fest.
“Bin ich wohl, ja”, erwiderte Thomas.
Sylvia zuckte die Schultern und ging voraus ins Esszimmer. Es war frisch renoviert, die Wände strahlten sonnengelb. Kaffee und ein Teller mit Gebäck standen auf dem Tisch, und sie forderte ihn mit einer Geste auf zuzugreifen. “Oder hast du schon gegessen?”
“Nicht viel. Ich war in Eile.”
Sylvia lachte. “Wie immer.”
“Ja, wie immer.” Thomas warf einen argwöhnischen Blick auf seine Brusttasche. Offensichtlich hatte sich seine Halluzination entschlossen, dort zu verharren, bis sie wieder allein waren. “Wo ist denn Gabriel?”
“Ich ...” Sylvia griff mit einer hastigen Bewegung nach einem Plätzchen, biss aber nicht hinein, sondern sah Thomas hilflos an. “Ich habe ihm erlaubt, nach der Schule noch zum Sport zu gehen.”
Thomas hob die Brauen. “Alles in Ordnung?”, fragte er.
“Nein.” Sylvia sah ihn ernst an. “Du musst mit Gabriel reden, Thomas.”
Du musst? Sie hatte ihn bisher genau zwei Mal auf diese Weise aufgefordert, seinen Vaterpflichten nachzukommen. Zuletzt, als es darum ging, mit Gabriel über die Scheidung zu sprechen, und 14 Jahre zuvor, als der Junge gezahnt hatte und sie ganze drei Nächte lang auf den Beinen gewesen war. Sonst nie.
Eivyns Herz begann plötzlich schneller zu schlagen, weil das von Thomas es tat. Von dem Gespräch konnte sie keine Silbe verstehen, aber es klang ruhig und freundschaftlich. Sie tastete in Thomas’ Gedanken umher. Da klang etwas an, das nicht nur Pflichtgefühl war; er machte sich Sorgen um seinen Sohn ... und gerade schien er nach Erinnerungen an seine Schulzeit zu suchen. Ein melodisches Telefonklingeln war zu hören, dann ein Geräusch, als würde ein Stuhl nach hinten gerückt.
Eivyn wagte es, sich hinzustellen und über den Rand von Thomas’ Brusttasche zu linsen.
Sylvia verließ gerade mit dem Telefon das Zimmer. Sie schien eine freundliche Frau zu sein – alles an ihr wirkte so. Ihr Lächeln, ihr hübscher Haarschnitt, sogar die Farben ihrer Kleidung.
“What’s up?”, rief Eivyn zu Thomas hinauf und setzte sich auf den Saum der Tasche.
“Problems with my son. He answered all the questions in his last English test like this: I don’t know!”, flüsterte Thomas. “Normally he’s quite good in school, so Sylvia is not used to things like this. She seems to be absolutely helpless and wants me to talk to him.”
“Ouch!”, machte Eivyn. “At his age he might really need your advice. Take him with you”, schlug sie hastig vor.
Sylvia kehrte zurück. Flink sprang Eivyn wieder in die Jackettasche. “Come on!”, forderte sie flüsternd. “Tell her!”
“Entschuldige”, sagte Sylvia und setzte sich wieder. Thomas machte eine wegwerfende Geste.
“Ich habe eine Idee”, sagte er dann. “Nach all dem Ärger mit Ilona hatte ich vor, übers Wochenende an die Ahr zu fahren. Was hältst du davon, wenn ich Gabriel einfach mitnehme? Tut uns sicher beiden gut, und ich kann ihm helfen, den verpassten Stoff nachzuholen. Ich bin gut im Training. Schließlich brauche ich mein Englisch dauernd.” Unter anderem, weil ich eine Psychose habe, die kein Deutsch kann.
Sylvia nickte, rührte betreten in ihrem Kaffee und sah ihn dann nachdenklich an. “Dann kannst du dich aber nicht entspannen.”
Ein Gefühl der Verbundenheit. Du solltest ihr sagen, dass sie dir immer noch wichtig ist.
“Ach was”, meinte Thomas. “Auf deine Kosten möchte ich mich nicht ausruhen.”
Tatsächlich lächelte Sylvia jetzt.
Die Haustür klappte, ein dumpfes Rumsen war vom Flur zu hören. Augenscheinlich hatte Gabriel sein Sportzeug in die erstbeste Ecke geschleudert. Sylvia schüttelte genervt den Kopf, aber Thomas machte ihr ein Zeichen, sitzen zu bleiben, stand auf und lehnte sich in den Türrahmen. Eine Weile sah er Gabriel zu, wie er Schuhe und Jacke auszog. Der Junge schaute auf und nun blickten sich Vater und Sohn argwöhnisch aus graublauen Augen an. Thomas wies auf die
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