Elixir
mich für dich«, sagte ich und meinte es auch so. Wenn ihr Traum von dem Mann mit den spitzen Knochen sie glücklich machte, dann gönnte ich ihn ihr von Herzen.
Sie erwiderte mein Lächeln und begann wieder, Pierre zu küssen, wobei sie es fachmännisch vermied, von seinem spitzen Kinn oder seinen Wangenknochen aufgespießt zu werden.
» Ähem.«
Joseph hatte sich auf dem Love Chair neben mir niedergelassen, die Stirn in Falten gelegt. Der Ärmste hatte vermutlich gedacht, er müsste hier nur auftauchen und hätte direkt meine ungeteilte Aufmerksamkeit.
» Entschuldige«, meinte ich halbherzig und wandte mich ihm zu.
» Alles okay mit dir?«, fragte er mit britischem Akzent. » Du hast total aufgelöst gewirkt, als du die Tanzfläche verlassen hast.«
» Echt?« Sofort hatte ich das beunruhigende Bild einer fetten Schlagzeile vor Augen: Tochter von Senatorin Victoria Weston dreht in Pariser Nachtclub durch. » Hat das sonst noch jemand bemerkt?«
» Mitten in diesem Zoo?« Er lachte. » Außer uns dreien keiner. Oder wohl eher nur wir beide. Ich bin mir nicht sicher, ob Pierre seinen Blick von deiner Freundin losreißen konnte…« Er versuchte, Pierres Blick nachzuahmen, mit dem er Rayna aufs Dekolletè gestarrt hatte, was nicht leicht war, ohne seine feinen Manieren über Bord zu werfen. Dennoch war es keine schlechte Vorstellung.
» Schon gut«, sagte ich. » Ich weiß, was du meinst.«
» Gott sei Dank!«, stieß er hervor und wir lachten. Ich fragte mich, ob ich Joseph nicht doch eine Chance geben sollte. Ich hatte ihn lediglich als Pierres Anhängsel angesehen, aber vielleicht war das nicht fair. Vom Aussehen her gab es keinen Grund zur Klage: Er war etwas größer als meine ein Meter fünfundsechzig, hatte blasse Haut und dunkle Haare und eine Stirnlocke, die immer kurz davor war, ihm in die Augen zu fallen. Er war schlank, aber durchtrainiert und stark wie…«
» Spielst du Fußball?«, fragte ich. » Du siehst aus wie ein Fußballer.«
Na toll. Ich klang schon genauso billig wie sein Freund Pierre. » Ich meine–«
» Nein, ist schon okay. Ich spiele wirklich Fußball. Nicht professionell oder so, aber…«
Joseph begann, ein bisschen von sich zu erzählen, und ich hörte zu, aber eigentlich konzentrierte ich mich dabei auf seine Augen.
Die Augen sind das Fenster zur Seele, Clea. Das hatte mein Vater immer gesagt, als ich noch ganz klein war. Und als ich alt genug war, um zu verstehen, dass es ein Klischee war, hatte ich es schon so verinnerlicht, dass es mir wie der Weisheit letzter Schluss vorkam.
Josephs Augen waren graublau, offen und klar. Ein bisschen zu klar, um ehrlich zu sein. Ich wartete darauf, dass irgendetwas, was er sagte, ein Feuer darin entfachte, doch ich wartete vergebens. Als er mir erzählte, dass er sich mitten in einer zweijährigen Sabbat-Auszeit befand, » um die Welt zu bereisen und herauszufinden, wofür er sich wirklich interessierte«, wusste ich, dass ich genug gehört hatte. Der richtige Mann für mich ist jemand, der ein Ziel vor Augen hat und danach lebt, nicht jemand, der erst auf Schnitzeljagd gehen muss, um seine Leidenschaft zu entdecken. Rayna würde sagen, dass das nichts zur Sache tat. Joseph musste nicht mein Traummann sein, um sich mit ihm zu amüsieren. Vielleicht hatte sie recht, aber mich strengte schon allein der Gedanken daran an, Interesse zu heucheln, wenn ich keines hatte.
Joseph beugte sich vor, sodass ihm die Locke ins Gesicht fiel. » Jetzt weißt du alles von mir… nun bist du an der Reihe, Clea Raymond.«
» Eigentlich… würde ich gerne raufgehen und tanzen«, sagte ich ganz ehrlich.
» Super, ich bin dabei.« Er wollte schon aufstehen, doch ich schüttelte den Kopf.
» Lieber nicht«, sagte ich mit einem Lächeln, das hoffentlich freundlich genug war. » Ich möchte eine Weile alleine sein.«
» Sicher?«
» Ja… du musst nicht auf mich warten oder so. Ich will nicht deine Zeit vergeuden. Es gibt noch jede Menge anderer Mädchen hier.«
» Ah«, sagte er und stand auf.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Hatte ich seine Gefühle verletzt? Dann lächelte er. Er war vielleicht nicht glücklich darüber, aber er hatte verstanden.
» Na dann… schön, dich kennengelernt zu haben.« Er streckte die Hand aus und ich schüttelte sie. Er war nett. Ich hoffte, er würde jemand anderen finden. Als er wieder nach drinnen schlenderte, tippte ich Rayna auf die Schulter und gab ihr mit einem Blick zu verstehen, dass ich wieder reinging,
Weitere Kostenlose Bücher