Elixir
die schier durchdrehten bei dem Gedanken daran, was sie zu Hause noch alles hätten erledigen müssen. Wie ein Irrer raste Dad mit Vollgas zur Klinik und wartete nur darauf, dass man ihn anhalten und als Polygamisten mit einem Hang zu übertriebenem Ehrgeiz festnehmen würde.
Rayna und ich kamen nur fünf Stunden nacheinander zur Welt– ich bin die Ältere– und seitdem sind wir unzertrennlich. Wir sagen immer, wir sind Zwillinge mit verschiedenen Eltern.
Die Boulevardzeitungen weisen gerne auf den unterschiedlichen sozialen Status von Rayna und mir hin, aber für mich ist sie wie eine Schwester und meine Eltern empfinden es genauso. Sie haben dafür gesorgt, dass Rayna auf dieselben Privatschulen gehen konnte wie ich, und sie immer in den Familienurlaub mitgenommen.
Für den Rest der Welt jedoch ist sie keine Weston. Manchmal denke ich, das ist gar nicht schlecht so. Ich bin eine Weston und das bedeutet vor allem eines: eine Horde von Fotografen, die mich seit meiner Geburt verfolgen und darüber spekulieren, was für Auswirkungen ich auf die Karriere meiner Mutter haben könnte oder ob ich eines Tages in die Fußstapfen der Westons trete, um die Welt zu ändern. Mein Familienname bedeutete, dass in der siebten Klasse eine Fotostrecke im People Magazin erschien mit dem Titel: » Clea Raymonds seltsame Jahre zwischen Kind und Teenie!« Sie zeigte grässliche Bilder von mir vom Sommercamp des Vorjahres– Schnappschüsse, von denen ich nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten. Es gab eines, auf dem ich vom Schlaf völlig zerraufte Haare hatte und eine dicke Brille trug, auf einem anderen zupfte ich mir gerade die Hose aus der Pofalte. Es gibt nichts Besseres für das überbordende Selbstbewusstssein einer Zwölfjährigen als Fotos wie diese, mit denen man die ganze Schule hätte tapezieren können. Sie verursachten mir bis in die Highschoolzeit Magenschmerzen.
Rayna ist Expertin darin, die schlechten Seiten mit einer Handbewegung abzutun. Sie wusste immer, wann mein Name in einem Magazin auftauchte. Sie fand es toll, dass ich mit meinen Eltern die Welt bereisen konnte, und kreischte vor Freunde, wenn ich ihr erzählte, dass ich zu irgendeinem Event mit jeder Menge Prominenz eingeladen war. Nie war sie im geringsten neidisch wegen irgendetwas und obwohl sie selbst seit frühester Kindheit in diesen Kreisen verkehrte, konnte sie nie genug davon bekommen. Sie ist immer noch total aufgeregt, wenn sie mit mir zu einer Party oder in einen exklusiven Club geht oder an einen exotischen Urlaubsort mitgenommen wird… oder zu so etwas wie diesem Winterferien-Trip, auf dem man alles drei haben konnte.
Ich merkte nicht, dass ich mit geschlossenen Augen tanzte, bis ich eine Hand auf meinem Arm spürte. Ich riss die Augen auf.
» Clea!«, überschrie Rayna die Musik. Ihre Augen glänzten von den Drinks und der Aufregung über die neue Liebe ihres Lebens. » Je vais aller chez Pierre! Er hat eine Dachwohnung mit Blick auf den Eiffelturm. C’est très bon, non?«
Rayna fand das offensichtlich sogar très, très bon, also blieb mir nichts anderes, als zuzustimmen. » Oui«, sagte ich lächelnd. » Pass auf dich auf. Hast du seine Adresse?«
Rayna nickte und ich holte mein Handy heraus, damit sie sie eingeben konnte.
» Pfefferspray?«, fragte ich.
Rayna verdrehte die Augen und zog die Dose aus ihrer Handtasche. Ich nickte zufrieden.
» Wenn irgendwas ist, rufst du mich an. Egal was. Und wenn du mir innerhalb von zwölf Stunden keine SMS schreibst, alarmiere ich die SWAT -Einheit.«
» Wir sind in Frankreich. Da gibt es keine SWAT -Einheit«, erinnerte mich Rayna. Dann beugte sie sich zu mir, legte ihre Stirn an meine und blickte mir direkt in die Augen. » Mir passiert nichts. Du wirst mich nie verlieren.«
Seit einem Jahr sagte sie das fast jedes Mal, wenn wir uns trennten. So schön ich den Gedanken auch fand, zuckte ich bei dem Wort » nie« doch immer zusammen. Es schien das Schicksal herauszufordern. Das hatte ich Rayna auch gesagt, doch sie hatte nur über meinen » verrückten Aberglauben« gelacht. Anscheinend war es eine Sache, daran zu glauben, dass das Schicksal einem jede Nacht einen Seelenverwandten servierte, aber eine andere, daran zu glauben, dass das Schicksal es nicht mochte, wenn man ihm Vorschriften machen wollte. Ich fand, Rayna hielt das Schicksal für viel zu wohlgesonnen.
Ich blieb gerade mal lange genug im Club, dass Rayna meine Flucht nicht mehr mitbekam. Sie hätte sich mies
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