Emerald: Hörspiel
jeden Tag, jede Stunde. Fünfzehn Jahre lang habe ich darauf gewartet, dass wir uns wiedersehen.«
Sie schob sich zwischen Kate und die Tür und versperrte ihr so den Fluchtweg. Nicht dass es eine Rolle gespielt hätte. Kate konnte sich nicht rühren. Die Angst hatte sie zu Eis erstarren lassen. Die Gräfin lebte. Aber wie war das möglich? Kate musste nicht fragen, was die Frau von ihr wollte. Sie war immer noch hinter dem Buch Emerald her.
»Du kannst nicht fassen, dass deine alte Freundin noch unter den Lebenden weilt, nicht wahr? Du hast wohl gedacht, mein alter Meister hätte mich getötet, was? Nein, er ist nur aus mir gewichen und hat mich leer und schwach zurückgelassen. Ein elendes Bündel Haut und Knochen! Ich kam wieder zu mir und schleppte mich an Deck. Dort sah ich, was ihr vorhattet, der Zauberer und du. Und ich habe mich eurer kleinen Bande angeschlossen, buchstäblich im letzten Moment. Als du die Kinder gerettet hast, meine liebe Kate, hast du auch mich gerettet.« Sie lachte und ihr Lachen verwandelte sich in einen Hustenanfall. Sie hustete in ihre Faust und wischte den Schleim dann an ihrem Schal ab.
»Danach versteckte ich mich im Wald und schaute mir die rührende Familienzusammenführung an. Ich konnte es nicht riskieren, dass der Zauberer mich entdeckte. Aber ich sah dich und deine Geschwister mit dem Buch, und ich wusste, dass meine Zeit kommen würde. Alle glaubten, ich sei tot. Selbst mein alter Meister dachte wohl, ich sei mit dem Schiff in den Tod gestürzt. Ich wusste, dass ich die Chronik trotz allem noch gewinnen konnte!«
Sie packte Kate am Arm. Ihre Nägel waren schwarz und eingerissen.
»Jahr um Jahr habe ich gewartet. Die Leute aus dem Dorf erkannten mich nicht. Dieselben Kinder, die ich eingesperrt hatte, brachten mir aus Mitleid Essen und Wasser. Ich war geduldig. Dann, eines Tages, hörte ich von drei Kindern, die in das Haus auf der anderen Seite des Flusses gekommen waren. Ich hatte schon vor langer Zeit die Geheimgänge des Hauses entdeckt und so schlich ich mich ein. Ich sah dich, meine wunderschöne Katherine, keinen Tag, keine Stunde älter …«
Sie war jetzt so nah, dass ihr saurer Atem über Kates Gesicht glitt.
»Gib mir das Buch Emerald.«
Kate zögerte. Sollte sie schreien? Würde irgendjemand sie hören ?
»Ich weiß, was du denkst, mein Täubchen. Aber dein Dr. Pym kann dich nicht hören. Er ist zu weit weg. Weißt du, wer dich hören wird? Michael und Emma, die lieben Kleinen! Sie werden angerannt kommen. Und du wirst zuschauen, wenn ich die beiden töte! Ich habe schon zu lange gewartet – gib mir die Chronik!«
Aus den Falten ihres Schals zog die alte Vettel ein langes,
rostiges und schartiges Messer. Kates Blick wanderte von der Klinge zu den Augen der Hexe.
»Versprechen Sie mir, dass Sie Michael und Emma nichts tun.«
»Also bitte!« Die Alte grinste höhnisch. »Ich bin doch kein Unmensch!«
»Und Sie werden das Haus sofort verlassen.«
»Es wird so sein, als ob ich niemals da gewesen wäre.«
»Also gut.«
Kate drehte sich um und griff unter die Matratze. Sie hatte natürlich keineswegs die Absicht, der Hexe das Buch zu überlassen. Sie wollte sie nur glauben machen, dass sie gewonnen hätte, damit ihre Wachsamkeit nachließ. Kate umklammerte den Einband des Buchs, sprang auf, wirbelte herum und schlug mit dem schweren Band nach dem Kopf der Gräfin …
Die Hand der alten Frau schoss hoch und packte das Buch. So standen sie da, Kate mit der einen Seite des Buchs in der Hand, die Gräfin mit der anderen. Ihre Nägel bohrten sich in den smaragdgrünen Einband.
Die Hexe kicherte. »Raffiniertes kleines Ding. Du bist wohl nicht mehr so vertrauensselig, was? Glücklicherweise bin ich um einiges stärker, als ich aussehe. Und jetzt – LASS LOS!«
Die Gräfin riss mit aller Macht an dem Buch und Kates Hände rutschten ab. Aber durch ihren eigenen Schwung verlor die Alte das Gleichgewicht und ließ das Buch los, das aufgeschlagen auf dem Boden landete. Kate und die Hexe stürzten sich gleichzeitig darauf.
Die Gräfin grapschte keifend nach dem Buch, stieß mit dem Messer nach Kates Gesicht. Kate lehnte sich weit zurück, ihre Finger umklammerten eine leere Seite. Sie weigerte sich, loszulassen, weigerte sich, diese Frau siegen zu lassen, und so tat sie
das Einzige, was ihr noch einfiel. Sie schloss ihre Augen, tastete mit ihrem Geist nach der Magie des Buches und betete, dass Dr. Pym recht behalten würde.
Sie spürte das Ziehen. So seltsam
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