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Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel

Titel: Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G.E. Lessing
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vorarbeiten wollte. Diese »Urfrage« der Interpretationsgeschichte ist in der Stoffwahl begründet: 22 In der Geschichte Roms führte die Tötung der Virginia durch ihren Vater zum Sturz des tyrannischen Decemvirn Appius Claudius im Jahre 449 v. Chr. und zu einem Umsturz der Regierung (s. o. Kap. 5 , 86). Der Stoff enthielt also alle Elemente eines revolutionären Dramas. Lessing wollte jedoch von vornherein – wie er am 21. Januar 1758 Friedrich Nicolai mitteilte – alles aus »der römischen Virginia« absondern, »was sie für den ganzen Staat interessant machte« 23 . Als er Jahre später sein Werk abgeschlossen hatte, erklärte er auch seinem Bruder in einem Brief vom 1. März 1772: »Du siehst wohl, daß es weiter nichts, als eine modernisierte, von allem Staatsinteresse befreyete Virginia seyn soll.« 24 Nur so konnte er das Stück zu Ehren der Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel an deren Geburtstag aufführen lassen. Tatsächlich wurde
Emilia Galotti
mit ausdrücklicher Genehmigung des Herzogs am 13. März 1772 in Braunschweig uraufgeführt und mit großem Beifall aufgenommen. Goethe spricht ihm im Erscheinungsjahr 1772 das Prädikat »Meisterstück« zu und erklärt: »Mit halbweg Menschenverstand kann man das Warum von jeder Scene, von jedem Wort, mögt’ ich sagen, auffinden.« 25 Damit hat er die Intention Lessings genau getroffen. Trotzdem enthält das Lob eine Kritik, die sich im Laufe der Zeit verstärkt: »Es ist alles nur gedacht. Das ärgert mich genug.« 26
    Die politische Dimension des Trauerspiels wird erst später erfasst: »Erst nach der französischen Revolution versteht man das Stück in einem politischen Sinn als Angriff auf Fürstenherrschaft und -willkür – ein Beispiel dafür, wie eine neue historische Situation zu neuen Auffassungsweisen führen kann. Vor 1789 jedoch liest man aus dem Drama nur die moralische Mahnung an die Fürsten heraus, die Mahnung zur Affektkontrolle und Bezwingung der Leidenschaft.« 27
    In den nun folgenden politischen Deutungen verweist man auf die Parteinahme des Autors gegen die höfische Welt und die absolutistische Regierungsform. In dem Prinzen sieht man nun den Tyrannen, der die Ursache aller Übel ist. Er verfügt willkürlich nicht nur über seine Höflinge und Mätressen, sondern greift rücksichtslos in das Privatleben der Untertanen ein. Von der Unmoral des Hofes sind die so genannten ersten Häuser der Residenzstadt angesteckt.
    Dieser Welt der Amoralität, der Intrigen und der Galanterie wird die Welt der ehrlichen, tugendhaften Bürger entgegengesetzt. Deren einziger Fehler ist, dass sie nicht die Kraft und die Mittel hat, sich durchzusetzen, dass sie die Opferrolle annimmt und auf eine ausgleichende Gerechtigkeit des Weltenrichters wartet. Als Existenzform haben diese bürgerlich orientierten Untertanen die Familie für sich entdeckt. Sie meiden die Nähe des Hofes, ziehen sich aufs Land zurück und suchen sich selbst zu leben.
    Eine mit soziologischen Kategorien durchgeführte Analyse kann nachweisen, dass der Konflikt des Stücks »aus dem für das absolutistische System fundamentalen Antagonismus zwischen politischer Un-Moral und privater Moral hervorgeht, der als gesellschaftlicher Antagonismus zwischen höfischem und familiärem Bereich erscheint« 28 . Ein Aufruf zur Revolution ist jedoch nicht auszumachen. Die Leitfrage des Stücks »Was soll ich tun?«, die nicht nur eine der privaten Moral ist, sondern auch eine des politischen Handelns, bleibt vorläufig offen.

7. Autor und Zeit
    Gotthold Ephraim Lessing kam am 22. Januar 1729 in Kamenz, einer kleinen Stadt in Sachsen, als Sohn des sehr strengen Pastors Johann Gottfried Lessing und seiner Ehefrau Justine Salome Lessing, geborene Feller, Tochter des zuvor in Kamenz amtierenden Pfarrers, zur Welt. Zwölf Kinder werden in der Familie geboren; fünf sterben früh; Gotthold Ephraim ist der zweite Sohn.
    Zwölfjährig kommt Gotthold Ephraim auf die Fürstenschule St. Afra in Meißen, ein hoch angesehenes Gymnasium, das vor allem lateinische und altgriechische Autoren nahe bringt. Französisch, Mathematik und deutsche Literatur haben den Rang von Nebenfächern.
    Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Österreich berühren auch Meißen. Der Schulbetrieb wird gestört; die Internatsverpflegung ist nicht mehr gesichert. In dieser Situation erhält Lessing ein kurfürstliches Stipendium und kann im September 1746, jetzt siebzehn Jahre alt, ein Studium der Theologie

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