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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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geben!« Als Punk hatte ich dann zurückgeschlagen. Meistens nur verbal, dafür aber heftig. Seit ich Buddhistin bin, kann beziehungsweise sollte ich das nicht mehr. Wenn ich jemandem wie diesem Regisseur begegne, sage ich mir: Wo kein Ego ist, kann kein Ego verletzt werden. Das Problem ist nur: In mir ist noch jede Menge Ego. Und damit jede Menge Angriffsfläche.
    »Komm, Leichter«, ermahnte ich mich, »geh jetzt rauf und sei ganz souverän. Du bist völlig gelassen und durch nichts aus der Ruhe zu bringen.«
    Meistens habe ich wirklich gute Regisseure. Die nichts dagegen haben, wenn ich ihnen zum Beispiel Musikvorschläge mache. Und dann gibt es ein paar wenige andere, die alles als Einmischung betrachten. Mein jetziger gehört zu letzteren. Ich beschloss, dass ich den Mann ablehnen würde, wenn ich ihn als Regisseur für die Pflegekinder bekäme.
    Oben angekommen, fand ich die Technikerin allein vor.
    »Er holt sich was zu trinken«, sagte sie in einem Ton, der mich zum Grinsen brachte.
    »Tja«, erwiderte ich, »wenn man keine Assistentin hat, muss man selber gehen.«
    Tontechniker überleben nur, wenn sie neutral bleiben, aber sie erlaubte sich trotzdem einen Hauch von Lächeln.
    In der Mittagspause zog es mich auf den Bahnhof. Aber »mein Junge« ließ sich nicht blicken. Ich ging in die Budengasse und fragte auf dem PC meiner Lieblingsredakteurin meine Mails ab. Hatte endlich eine Antwort von »Auf Achse«. Die Leiterin des B.O.J.E. -Busses schrieb, ich könne vorbeikommen. Eine Mitarbeiterin sei heute schon um dreizehn Uhr da, um vierzehn Uhr müsste ich wieder gehen, denn da öffneten sie für die Besucher.
    Ich raste zurück zum Breslauer Platz. Rüber zum Bus. Eine junge Frau öffnete mir die Tür. Zumindest sah sie jung aus. Wenn sie in diesem Projekt für Trebekids arbeitete, musste sie allerdings schon Berufserfahrung haben. Was sie auch hatte. Wir klärten das Wer-bin-ich-und-was-will-ich-warum-wissen, und ich bestand die Prüfung. Ich sagte ihr, was ich der Leitung schon geschrieben hatte, dass ich gern eine Sendung über ihr Projekt machen würde. Was durchaus stimmte. Wenn es auch im Moment nicht mein vorrangiges Anliegen war. Dann schilderte ich ihr »meinen Jungen«. Fragte, wie man dem helfen könne. Erst mal sagte sie das Gleiche wie schon alle anderen: Ein Zehn-, Elfjähriger könne sich nicht lange auf Trebe halten. Da würde eine Großfahndung eingeleitet, Kinder lasse man nicht einfach verschwinden. Bei Vierzehnjährigen sei das schon etwas anderes, vor allem, wenn sie schon öfter ausgerissen seien. Aber so ein Kleiner …
    »Was wäre denn, wenn der bei Ihnen auftauchen würde?«
    Sie musterte mich noch einmal eindringlich. Sie würden, meinte sie schließlich, ihn erst mal in Ruhe lassen. »Er kann sich hierhin setzen, was zu essen und zu trinken bekommen, sich ausruhen.«
    »Und dann?«
    »Dann würden wir ihm Hilfe anbieten. Einen Platz in einer Übergangseinrichtung zum Beispiel, wenn klar ist, der geht auf keinen Fall wieder nach Hause. Die Kids haben ja oft gute Gründe, warum sie nicht mehr nach Hause wollen.«
    »Oder ins Heim«, wandte ich ein. Nele war zigmal aus Heimen ausgebüxt.
    »Oder ins Heim.«
    Da kam mir eine Idee. »Gibt es auch Kinder, die aus Pflegefamilien weglaufen?«
    »Mir ist das noch nicht untergekommen«, sagte sie nachdenklich, »da müssten Sie eine ältere Kollegin fragen. Ich arbeite noch nicht so lange hier.«
    Ich nickte.
    »Aber warum nicht«, fügte sie hinzu. »Da ist auch nicht immer alles Gold, was glänzt. Obwohl die heutzutage viel mehr und besser kontrolliert werden als früher.«
    »Würden Sie den Jungen denn festhalten?«, kam ich wieder auf mein Thema zurück.
    »Nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Wir würden nicht die Polizei rufen oder so etwas. Dann wäre es mit jeglichem Vertrauen vorbei. Unsere Besucherinnen und Besucher kommen zu uns, weil sie wissen, dass wir sie in Ruhe lassen. Dass wir ihnen wohl helfen, aber nur, wenn sie das wollen.« Sie sah mich sehr ernst an. »Wir respektieren die Leute. Wir lassen sie sein, wie sie sind. Wir drängen ihnen nichts auf. Deshalb ist der Bus hier jeden Tag voll. Wenn wir den Leuten was aufschwatzen würden oder die zu irgendwas überreden wollten, dann wäre der leer.«
    Völlig klar. Wenn ich Platte gemacht hätte, mit vierzehn, fünfzehn, und es so etwas wie den B.O.J.E. -Bus gegeben hätte, dann wäre ich da garantiert aufgekreuzt. Und wenn die mir gute Ratschläge gegeben hätten, dann wäre

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