Elefanten vergessen nicht
1
M rs Oliver betrachtete sich im Spiegel. Dabei warf sie einen kurzen Seitenblick auf die Uhr auf dem Kaminsims, die wie gewöhnlich zwanzig Minuten nachging. Dann beäugte sie wieder prüfend ihre Frisur.
Die Schwierigkeit bei ihr war – und das gab sie offen zu –, dass sie ständig die Frisur wechselte. Sie hatte schon fast alle Möglichkeiten ausprobiert, mal eine strenge Hochfrisur getragen, mal eine Windstoßfrisur, bei der die Haare nach hinten gebürstet wurden, damit man die Denkerstirn sah. Jedenfalls hoffte sie, dass sie eine Denkerstirn hatte. Sie hatte einen Lockenkopf getragen, mit lauter kleinen eng anliegenden Löckchen, und eine Art künstlerischer Unordnung. Allerdings, überlegte sie, spielte ihre Frisur heute keine Rolle, denn heute würde sie – was sie sehr selten tat – einen Hut aufsetzen.
Im obersten Fach ihres Kleiderschrankes ruhten vier Hüte. Einer passte nur für Hochzeiten. Denn bei einer Hochzeit war ein Hut ein absolutes »Muss«. Ja, sie besaß sogar zwei Exemplare für diese Gelegenheit. Der in der runden Hutschachtel war aus Federn und eher eine Kappe. Er vertrug auch einen plötzlichen Regenguss, wie sie einen manchmal auf dem Weg vom Wagen zur Kirche oder, wie heutzutage häufiger, zum Standesamt plötzlich überraschten.
Der andere war ein wesentlich kunstvolleres Gebilde und kam nur für eine Hochzeit an einem sommerlichen Samstagnachmittag infrage. Er bestand ganz aus Blumen und Chiffon und einem gelben Schleier mit angehefteten Mimosen. Die andern beiden Hüte in dem Fach hatten mehr Allzweckcharakter. Den einen nannte Mrs Oliver ihren »Landhut«, er bestand aus braunem Filz, der zu jeder Art von Tweed passte, mit einer kleidsamen Krempe, die man aufstellen oder in die Stirn gezogen tragen konnte.
Mrs Oliver besaß einen Kaschmirpullover für kalte und einen leichten Pullover für heiße Tage, die in der Farbe zu dem Hut passten. Allerdings trug sie die Pullover häufig, den Hut fast nie. Warum sollte man auch einen Hut aufsetzen, wenn man bloß aufs Land fuhr, um mit Freunden zu essen?
Der vierte Hut war der teuerste von allen vieren und von außergewöhnlich dauerhafter Eleganz. Vielleicht, dachte Mrs Oliver manchmal, weil er so teuer gewesen ist. Er war eine Art Turban aus übereinander angeordneten Lagen von verschiedenfarbigem Samt in sehr kleidsamen Pastelltönen, die zu allem passten.
Mrs Oliver hielt inne und rief, immer noch im Zweifel, nach Beistand.
»Maria«, rief sie, dann lauter: »Maria! Kommen Sie eine Minute her!«
Maria kam. Sie war es gewohnt, dass Mrs Oliver sie um Rat fragte, was sie anziehen sollte.
»Werden Sie Ihren hübschen, schicken Hut aufsetzen?«, fragte Maria.
»Ja«, antwortete Mrs Oliver. »Ich wollte wissen, ob er so besser aussieht oder andersherum.«
Maria trat zurück und betrachtete Mrs Oliver prüfend. »Sie haben ihn verkehrt auf.«
»Ja«, antwortete Mrs Oliver. »Das weiß ich. Aber ich dachte, dass es so irgendwie besser aussähe.«
»Ja, warum denn?«
»Nun, weil es so beabsichtigt ist, nehme ich an. Ich würde nicht von allein draufkommen. Sicher hat es sich die Hutmacherin so vorgestellt«, meinte Mrs Oliver.
»Wieso finden Sie, dass er dann besser aussieht?«
»Weil man den schönen Blauton und das dunkle Negerbraun sieht, und ich finde, das ist doch hübscher als die Vorderseite mit dem Grün und Rot und der Schokoladenfarbe.«
An diesem Punkt nahm Mrs Oliver den Hut ab, setzte ihn wieder auf und probierte ihn erneut mit der Rückseite nach vorn, mit der Vorderseite nach vorn und dann quer, was weder ihr noch Maria gefiel.
»Quer können Sie ihn nicht tragen. Ich finde, das passt nicht zu Ihrem Gesicht. Es passt zu keinem Gesicht.«
»Ja, das geht nicht. Ich glaube, ich setze ihn doch so auf, wie er gehört.«
»Na, sicherer ist es bestimmt«, meinte Maria.
Mrs Oliver nahm den Hut ab, und Maria half ihr, ein gut geschnittenes, leichtes Wollkleid von zarter braunroter Farbe anzuziehen und den Hut festzustecken.
»Sie sehen sehr schick aus«, stellte Maria fest.
Das war es, was Mrs Oliver an Maria so schätzte. Schon beim geringsten Anlass lobte und bewunderte sie.
»Werden Sie bei dem Essen eine Rede halten?«, fragte Maria.
»Eine Rede!«, rief Mrs Oliver entsetzt. »Nein, natürlich nicht! Sie wissen doch, ich halte nie eine Rede.«
»Ich dachte, das ist bei einem Literatenessen üblich. Da gehen Sie doch hin, nicht wahr? Berühmte Schriftsteller von 1973 – oder was für ein Jahr gerade
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