Endstation Venedig
wurde.
Ich möchte alles haben, was wie eine Waffe aussieht: ein Messer, Klinge etwa zwei Zentimeter breit. Aber es kann auch etwas anderes gewesen sein, sogar ein einfaches Stück Metall. Lassen Sie also alles herausholen, was eine derartige Wunde verursacht haben könnte.
Werkzeug, alles.
Ja, Commissario , sagte Vianello, während er im Gehen versuchte, sich alles zu notieren.
Dottor Rizzardi teilt uns heute nachmittag den Zeitpunkt des Todes mit. Sobald wir den haben, möchte ich mit Bonsuan sprechen.
Wegen der Gezeiten, Commissario?
fragte Vianello, der gleich
verstand.
Ja. Und fangen Sie schon mal an, sich bei den Hotels zu erkun-digen. Ob jemand vermißt wird, besonders Amerikaner.
Er wußte,
daß die Männer das nicht gern machten, diese endlosen Anrufe in den Hotels, deren bei der Polizei aufliegende Liste Seiten umfaßte.
Und nach den Hotels kamen die Pensionen und Gästehäuser, noch mehr Seiten voller Namen und Telefonnummern.
Die dumpfige Wärme der Bar war tröstlich und vertraut, wie auch der Geruch nach Kaffee und Gebäck. Ein Mann und eine Frau standen am Tresen, warfen einen Blick auf den Uniformierten und wandten sich wieder ihrem Gespräch zu. Brunetti bestellte einen Espresso, Vianello einen caffè corretto, schwarzen Kaffee mit einem kräftigen Schuß Grappa. Als der Barmann die Tassen vor sie hinstellte, tat sich jeder der beiden zwei Stück Zucker hinein und nahm die warme Tasse einen Augenblick zwischen die Hände.
Vianello trank seinen Kaffee mit einem Schluck, stellte die Tasse auf den Tresen zurück und fragte:
Noch etwas, Commissario?
Erkundigen Sie sich nach der Drogenszene in der Umgebung.
Wer wo dealt. Stellen Sie fest, ob in der Gegend schon jemand im Zusammenhang mit Drogen oder Straßenkriminalität polizeilich aufgefallen ist: Dealen, Fixen, Klauen, alles. Und bringen Sie in Erfahrung, wo die zum Drücken hingehen, in welche dieser Calli, die als Sackgassen am Kanal enden; ob es eine Stelle gibt, wo morgens Spritzen herumliegen.
Glauben Sie, daß es um Drogen geht, Commissario?
Brunetti trank seinen Espresso aus und bedeutete dem Barmann, ihm einen zweiten zu bringen. Ohne die Antwort abzuwarten, schüttelte Vianello rasch verneinend den Kopf, aber Brunetti sagte: Ich
weiß nicht, möglich wäre es. Überprüfen wir das also als erstes.
Vianello nickte und schrieb in sein Notizbuch, bevor er es in die Brusttasche steckte und nach seinem Portemonnaie griff.
Nein, nein , meinte Brunetti.
Das übernehme ich. Gehen Sie
zum Boot und rufen Sie wegen der Taucher an. Und lassen Sie Ih-re Leute Sperren aufstellen. Die Zugänge zum Kanal müssen abge-sperrt werden, solange die Taucher arbeiten.
Vianello bedankte sich mit einem Kopfnicken für den Kaffee und ging. Durch die beschlagenen Fenster der Bar sah Brunetti dem Treiben auf dem Campo draußen zu. Er beobachtete, wie die Leute von der Hauptbrücke kamen, die zum Krankenhaus führte, die Polizei zu ihrer Rechten sahen und dann die Umstehenden fragten, was los sei. Die meisten blieben stehen und schauten von den dunkel Uniformierten, die immer noch herumliefen, zu der Polizeibarkasse, die am Rand des Kanals schaukelte. Dann, nachdem sie absolut nichts Besonderes feststellen konnten, gingen sie weiter ihren Beschäfti-gungen nach. Der alte Mann lehnte immer noch an dem eisernen Geländer. Selbst nach all den Jahren Polizeiarbeit konnte Brunetti nicht verstehen, wie Menschen sich so willig in die Nähe des Todes ihrer Artgenossen begaben. Es war ein Rätsel, das er nie hatte lösen können, diese schreckliche Faszination der Endlichkeit des Lebens, besonders wenn sie gewaltsam war wie hier.
Er wandte sich wieder seinem zweiten Espresso zu und trank ihn rasch.
Wieviel?
fragte er.
Fünftausend Lire.
Brunetti zahlte mit einem Zehner und wartete auf sein Wechselgeld. Als der Barmann es ihm reichte, fragte er: Etwas Schlimmes?
Ja, etwas Schlimmes , antwortete Brunetti.
Etwas sehr
Schlimmes.
2
Die Questura lag so nah, daß es für Brunetti einfacher war, zu Fuß zu gehen, als mit den Uniformierten in der Polizeibarkasse zurück-zufahren. Er ging hintenherum, an der evangelischen Kirche vorbei, und näherte sich von rechts dem Gebäude der Questura. Der Polizist am Haupteingang öffnete die schwere Glastür, sobald er ihn sah, und Brunetti ging zu der Treppe, die zu seinem Büro im vierten Stock führte, vorbei an der Schlange von Ausländern, die um eine Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis anstanden.
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