Cataneo - Der Weg Splendors (German Edition)
PROLOG
›Wenn Menschen zu Göttern werden, läuten sie den Beginn und das Ende von allem ein.‹ So schrieb er es vor Tausenden von Jahren. Einer der ersten meiner Art. Ich erkenne die Wahrheit seiner Worte, etliche Male las ich diese Zeilen - wieder und wieder. Zittrig hatte er seine Sätze auf das Pergament gekritzelt, wissend, dass es das letzte Schriftstück sein würde, das er verfasste. Ähnlich dem meinen Schicksal, denn ich werde es ihm gleichtun. Ich habe den Freitod gewählt. Keinen Moment länger ertrage ich die Gewissheit von allem und die Ungewissheit meiner selbst. Als mein Vater und meine Mutter erkannten, dass mir eine besondere Gabe gegeben wurde, nannten sie es eine Bürde. Damals verstand ich ihre ablehnenden Worte nicht. Die Zukunft zu kennen, erschien mir wie ein Segen, doch mit den Jahren wurde es ein grausamer Fluch. Ich ertrage die Bilder nicht länger, die mich verfolgen. Sie fressen mich Stück für Stück auf. Zerreißen mich in Einzelteile und saugen jegliche Hoffnung aus mir heraus. Die Völker Cataneos glauben, dass sie mit dieser Schlacht die Welt endgültig gerettet haben. Dass ihr Pakt des Friedens ewig währen wird. Doch sie irren sich. Die Dunkelheit liegt nicht hinter, sondern vor ihnen. Schritt für Schritt werden sie sich ihr nähern. Sie werden die Grausamkeiten meiner Tage längst vergessen haben. Das Wort »Krieg« wird für die zukünftigen Generationen nur ein leises Flüstern sein, während es für mich ein lauter Schrei ist. Ich kann sehen, welch dunkle Mächte sie bedrohen werden. Spüre die Kraft, die sie überrollen wird. Aber meine Aufgabe ist es zu schweigen. Ich bin dazu verdammt, mein Wissen zu wahren, war schon in dieser Schlacht dazu verurteilt, meinen Liebsten beim Sterben zuzusehen. Auch hier waren es erst Visionen, bevor sich alles in grausame Realität verwandelte. Ich ertrage es kein weiteres Mal. Ich habe gesehen, was noch folgen wird, und mich von den Übrigen losgelöst. Zu bitter wäre der Verlust, zu schmerzhaft ist ihre Nähe. Das hatten meine Eltern mir sagen wollen, als sie es »eine Bürde« nannten. Die Gabe, von nichts überrascht zu werden, ist eine Qual, weit schlimmer als jeder Schmerz, den man körperlich erleiden könnte. Die Zukunft, auf die diese Welt zusteuert, ist blutiger und unheilvoller als alles, was es jemals zuvor gab. Noch Hunderte von Jahren liegen zwischen mir und diesen Augenblicken, doch ich kann sie sehen. So wie der erste meiner Art, der unsere vergangene Schlacht vorhersagte. Er erkannte schon damals, dass das Auferstehen unserer Götter aus dem Leiden ihres Lebens entstand, nicht aus ihrem siegreichen Dasein. Und dennoch ehren wir sie. Aber es wird der Tag kommen, an dem die Völker sie verfluchen werden. Eine Zeit, in der sich der Mond Splendor auf einen bedrohlichen Weg machen wird. Sie werden es nicht erkennen können. Nicht rechtzeitig. Zu sehr ist ihnen der Zustand des Friedens bis zu jenem Tag vertraut und unser derzeitiger Krieg längst vergessen. So wie die Männer auf unserem Schlachtfeld bald zu Staub zerfallen werden. Mein Jahrhundert wird dann der Geschichte angehören. Sie werden zurückblicken auf das siegreiche Ende unseres Kampfes. Sie werden stolz auf die Krieger ihrer Vergangenheit sein, doch niemand von ihnen wird sich erinnern, wie blutig diese Schlacht war. Niemand von ihnen hat sehen können, wie das Blut in die Erde sickerte. Sie hörten die Schreie der Sterbenden und Unschuldigen nicht. Sie werden vergessen, wie hoch der Preis für ihren Frieden war. Und jene Kreaturen, die uns errettet haben, werden in Zukunft mit ängstlichen Blicken bestraft. Ungeachtet ihrer Taten wird die Zeit verdrängen, was sie einst opferten. So, wie sie meinesgleichen weiterhin fürchten werden. Das Schicksal, auf das Cataneo zusteuert vermögen wir nicht zu ändern, doch ich werde dafür beten, dass sie es annehmen können. Ich werde meine Worte an jeden der vier Götter richten und diejenigen segnen, die sich auf die Reise machen, die Welt zu bewahren, wenn die Zeit gekommen ist. Nur wenige Stunden bleiben mir. Ihnen bleiben Hunderte von Jahren, die wie der Wind vergehen werden. Ich sehe den Tag kommen. Ich erkenne die Dunkelheit in den Augen der göttlichen Kreaturen, spüre ihren Zorn. Gebt nicht auf, möchte ich den Kriegern der Zukunft sagen. Gebt eure Welt nicht auf! Das Ende ist ungewiss, die Bilder verschwimmen, doch eine grausame Zeit steht euch bevor. Ihr werdet einander brauchen. So, wie ihr alle Kraft brauchen
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