Engel der Schuld Roman
guter Cop. Und trotzdem konnte Ellen North hier sitzen, mit makellos frisiertem Blondhaar, und sie so gelassen verhören, als sei sie irgendeine Zivilistin, blind wie Justitia selbst.
»Er war es, dieser Dreckskerl. Er wußte, wohin ich unterwegs war. Er wußte, daß ich nahe dran war, ihn zu entlarven. Er hat mich gefangen, mich nach Strich und Faden verprügelt, mich in ein Laken gewickelt, das deutlich beweist, daß er Josh entführt hat -«
»Wir wissen noch nicht, was das Laken beweisen wird«, warf Ellen ein. »Wir wissen nicht, wessen Blut darauf ist. Das Labor wird so schnell wie möglich arbeiten, aber DNS-Tests dauern Wochen. Das Blut könnte von Josh sein oder auch nicht. Wir haben die Blutproben seiner Eltern. Wenn die DNS-Analyse zeigt, daß das Blut von einem Kind Paul Kirkwoods und Dr. Hannah Garissons stammen könnte, haben wir etwas, womit wir arbeiten können. Aber es kann genausogut eine falsche Spur sein. Es würde mehr Sinn ergeben, wenn der Kidnapper versucht hätte, uns von seiner Spur abzulenken . . .«
»Für ihn macht es Sinn«, argumentierte Megan. »Er glaubt, er käme mit allem durch, aber er hat uns unterschätzt. Wir haben ihn in der Hand, verflucht noch mal. Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«
»Sie wissen, auf welcher Seite ich stehe, Megan. Mir liegt genausoviel daran, Wright zu verurteilen, wie Ihnen . . .«
»Sie können sich nicht annähernd vorstellen, wieviel mir daran liegt.« Das konnte sie nicht bestreiten. Der bittere Haß in Megans Ton war nicht zu überhören. Die Emotionen, die Wright mit jedem Schlag in ihr geweckt hatte, saßen wesentlich tiefer, als Ellen sich vorstellen konnte. Es war der persönliche Zorn eines Opfers, gesteigert durch die Erniedrigung eines stolzen Cops. Ellen wußte, daß ihr eigener moralischer Hunger nach Gerechtigkeit dagegen verblaßte.
»Ich will, daß er verurteilt wird«, erklärte sie. »Aber die Anklage gegen ihn muß wasserdicht sein. Ich möchte nicht, daß sein Verteidiger auch nur einen haarfeinen Riß findet. Je besser unser Beweismaterial gegen ihn ist, desto besser stehen unsere Chancen, die Wahrheit aus ihm herauszuquetschen. Davon könnte abhängen, ob wir Josh zurückkriegen.« Oder den Ort finden, an dem seine Leiche liegt.
Dieser Satz blieb unausgesprochen. Jeder, der an dem Fall arbeitete, wußte, wie die Chancen standen, ihn lebend zu finden. Wright und sein Komplize, wer immer dieser Komplize sein mochte, konnten es sich nicht erlauben, die einzige Person freizulassen, die sie einwandfrei als Kidnapper identifizieren konnte.
»Wenn wir Wright und seinem Anwalt ausreichendes Beweismaterial vorlegen. Wenn wir ihnen mit einer Mordanklage drohen und sie überzeugen, daß wir auch ohne Leiche damit durchkommen, dann würde uns Wright Josh vielleicht zurückgeben. Wir können ihn zum Handeln zwingen, wenn wir vorsichtig und geschickt genug sind.«
» Wir dachten, du w ä rst ein kluges M ä dchen, aber du bist auch nur ein d ä mliches Luder! « Eine k ö rperlose Stimme. Nie lauter als ein Fl ü stern, aber gespannt und summend vor Wut.
Sie zitterte. Blind. Machtlos. Verletzlich. Abwartend. Dann schlug der Schmerz aus einer Richtung zu, dann aus einer anderen, dann aus noch einer anderen.
Ein Schmerzensschrei, ein Schrei der Angst schwoll in ihrem Herzen, doch Megan gelang es, ihn im Hals zu ersticken.
»Geht es Ihnen gut?« fragte Ellen mit leiser Sorge. »Soll ich eine Schwester rufen?«
»Nein.«
»Vielleicht sollten wir jetzt aufhören. Ich könnte in einer halben Stunde wiederkommen . . .«
»Nein.«
Ellen sagte nichts, gab ihr Gelegenheit, es sich anders zu überlegen, obwohl sie nicht damit rechnete. Megan O'Malley hatte die Position, die sie erreicht hatte, nicht durch Ausweichmanöver bekommen. Das BCA war die oberste Polizeibehörde im oberen Mittelwesten. Eine der besten im Land. Und Megan gehörte zu den Besten der Besten. Ein guter Cop mit der Zähigkeit und dem Feuer eines Pitbulls.
Auf dieses Feuer zählte Ellen. In einer Stunde hatte sie einen Termin beim Bezirksstaatsanwalt. Sie brauchte Megans Aussage und Zeit genug, um sie in den Plan einzufügen, den sie sich im Kopf zurechtlegte. Es sollte wie am Schnürchen laufen, wenn sie sich mit ihrem Boss an einen Tisch setzte. Rudy Stovich konnte unberechenbar sein, aber er ließ sich auch in die richtige Richtung lenken. In ihren zwei Jahren in Park County hatte Ellen ihre Fähigkeit als Herdentreiberin so ausgefeilt, daß sie inzwischen
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