Engel der Schuld Roman
instinktiv, reflexartig funktionierte. Sie wußte nicht einmal, ob sie den Fall Wright wirklich wollte, trotzdem legte sie sich bereits ihre Strategie zurecht.
»Werden Sie die Anklage ausarbeiten?« fragte Megan, die sich größte Mühe gab, wieder ruhig zu atmen. Ein dünner Schweiß-film überzog ihre Stirn.
»Ich werde auf jeden Fall daran beteiligt sein. Der Bezirksstaatsanwalt hat noch nicht endgültig entschieden.«
»Ja, verdammt noch mal, wozu auch die Eile? Ist ja erst zwei Tage her, seit wir ihn eingebuchtet haben. Die erste Anhörung ist ja erst wann . . . in ein paar Stunden?«
»Morgen früh wird über die Kaution verhandelt.«
»Wird er Anklage erheben oder kneifen und auf Schwurgericht plädieren?«
»Das werden wir sehen.«
Die Medien liebten es, Sitzungen des Schwurgerichts aufzubauschen. Eine Verhandlung vor einem Schwurgericht war ein Starauftritt für den Ankläger – er konnte seine Beweise ohne Einmischung der Verteidigung vortragen, ohne Kreuzverhöre der eigenen Zeugen. Er mußte nur begründen können, daß der Angeklagte ein Verbrechen begangen hatte. Das Schwurgericht hatte schon seinen Sinn. Im Staat Minnesota konnte nur ein Schwurgericht über Mord verhandeln. Aber bis jetzt stand Mord noch nicht zur Debatte, und bei dem Gedanken, das Schicksal einer Mordanklage in die Hände von zwei Dutzend Bürgern zu legen, bekam Ellen schweißnasse Hände.
Die Geschworenen konnten machen, was sie wollten. Sie brauchten sich die Argumente des Anklägers nicht anzuhören. Wenn sie nicht glauben wollten, daß Garrett Wright fähig war, Böses zu tun, würde er den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Sie konnte nur hoffen, daß die Aussicht auf den Egotrip eines Soloauftritts vor einem Schwurgericht nicht stärker war als Rudys Vernunft.
Stovich hatte mehr als ein Jahrzehnt als Staatsanwalt von Park County überstanden, nicht wegen seiner juristischen Fähigkeiten, sondern dank seiner politischen Raffinesse. Zivilrecht lag ihm mehr als Strafrecht, also suchte er die wenigen Prozesse über Kapitalverbrechen, in denen er als Ankläger fungierte, sehr sorgfältig aus, immer unter dem Gesichtspunkt ihres politischen Wertes. Sein Auftreten im Gerichtssaal war altmodisch und unbeholfen, es hatte die Finesse eines Possendarstellers. Aber Rudys Wählergemeinde sah ihn nur selten im Gerichtssaal, und als händeschüttelnder, hinternküssender Provinzpolitiker war er unübertroffen.
»Redet Wright denn?« fragte Megan leise.
»Er sagt nichts, was wir hören wollen. Er besteht darauf, daß seine Verhaftung ein Fehler war.«
»Ja, genau. Sein Fehler. Wer ist sein Anwalt?«
»Dennis Enberg, ein hiesiger Strafverteidiger.«
»Ist er ein Anwalt, oder ist er ein Arschloch-Anwalt?«
»Dennis ist okay«, sagte Ellen und schaltete den Recorder aus. Sie war schon zu lange im Justizwesen, um sich beleidigen zu lassen. Sie selbst machte manchmal diesen Unterschied. Und da sie aus einer Familie von Anwälten stammte, war sie längst immun gegen Anwaltswitze und Beleidigungen.
Sie glitt vom Hocker und griff nach ihrer Aktentasche. Megan konnte sich nicht länger bei Bewußtsein halten. Erschöpfung und Medikamente würden das Verhör beenden, egal ob sie mit ihren Fragen fertig war oder nicht.
»Er bevorzugt Hausmannskost«, fuhr Ellen fort. »Übernimmt für die Stadt Tatonka Anklagen wegen geringfügiger Vergehen, wird von Zeit zu Zeit gezwungen, Pflichtverteidiger zu spielen, hat eine anständige eigene Kanzlei. Sie wissen ja, wie das System in diesen ländlichen Bezirken funktioniert.«
»Ja, wie eine miese Seifenoper. Also, was machen Sie dann hier, Counselor? «
Sie streifte ihren schweren Wollmantel über und schloß ihn mit den dicken Lederknöpfen. »Ich? Ich bin bloß hier, um dem Recht zu einem Sieg zu verhelfen.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr.«
Ellen hatte die gesamten zwölf Jahre ihrer beruflichen Laufbahn im Dienst des einen oder anderen Countys verbracht. Zum Entsetzen ihrer Eltern, die gehofft hatten, sie würde in ihre Fußstapfen treten und das lukrative Leben eines Steuerrechtlers führen. Hennepin County, zu dem Minneapolis und seine wohlhabenden westlichen Vororte gehörten, in denen sie aufgewachsen war, hatte die ersten zehn Jahre ihres Lebens nach dem Jurastudium am Mitchell Law in St. Paul's geschluckt. Sie war in das hektische Tempo eingetaucht, begierig darauf, so viele böse Buben wie nur möglich hinter Gitter zu bringen. Veteranen des überlasteten Gerichtssystems von
Weitere Kostenlose Bücher