Engel sterben
festen Schritten über den Kies. Als er gerade die Tür des Streifenwagens öffnen will, klingelt sein Handy. Fast hätte Bastian den Anruf weggedrückt, aber dann nimmt er ihn doch an.
»Wir haben sie«, tönt es aufgeregt aus dem Apparat. »Die Maklerin ist uns in die Fänge gegangen?«
»Wo?«
Bastian stellt sein Handy auf Freisprechen, damit Sven und Silja mithören können.
»An der Kreuzung vor dem Wenningstedter Supermarkt. Ein Typ im dunklen Cabrio hat sie gefahren. Er wollte durch die Straßensperre brechen, aber wir haben ihn gestellt. Die Maklerin ist übrigens voller Blut, allerdings selbst unverletzt. Sieht gar nicht gut aus.«
»Und die Mädchen?«
»Keine Spur.«
»Wir kommen sofort. Bleibt mit den beiden, wo ihr seid, okay?«
Bastian stellt das Handy aus und blickt seine beiden Kollegen triumphierend an. »Das ist der Durchbruch, Freunde. Es scheint doch eine größere Bande zu sein. Die Maklerin ist in Begleitung. Und wenn der Typ hier im Wagen auch nach Wenningstedt will, dann können wir ihm doch den kleinen Gefallen tun und ihn mitnehmen.«
Dienstag, 28. Juli, 14.00 Uhr,
Hauptstraße zwischen
Westerland und Wenningstedt
Fred ist schon ewig nicht mehr Auto gefahren. Dafür ist es gut, dass der Mercedes, an dessen Steuer er jetzt sitzt, auch nicht mehr ganz frisch ist. Nach Freds Schätzung müsste der Wagen um die vierzig Jahre auf dem Buckel haben. Er hat noch nicht mal Sicherheitsgurte, dafür aber auch nichts von dieser ganzen neuen Elektronik, mit der Fred vielleicht gar nicht auf Anhieb klargekommen wäre. So aber ist alles easy. Gas geben, lenken, bremsen. Gute alte Automatik.
Die Polsterung ist ziemlich durchgesessen, aber das Radio funktioniert tadellos. Als Fred in den Vierzehn-Uhr-Nachrichten die Suchmeldung nach seiner eigenen Person hört, muss er grinsen. Immerhin wird er morgen auf allen Titelseiten zu sehen sein. Mit Foto, damit das schon mal klar ist.
Gern würde Fred einen kleinen bescheidenen Freudenspurt hinlegen, aber leider ist die Straße von Westerland nach Wenningstedt dafür zu voll. Die Wagen rollen schön in Reih und Glied mit ziemlich genau sechzig Sachen über den Asphalt, links und rechts sind die Heide, einzelne Wiesen und Felder, kleine Siedlungen, der Inselflughafen und der Kinderzirkus zu sehen, dann folgen der Golfplatz und die Nordseehalle. Alles rauscht vorbei wie im Film. Nicht nur für Fred, auch für die anderen Autofahrer. Es ist ein stiller, sonniger Nachmittag auf Deutschlands nördlichster Insel. Autobrummen, Möwenschreie, eine Sirene in weiter Ferne. Nichts von Belang, alles scheint wie immer zu sein, die Wagen rollen gemächlich von der Inselmitte in Richtung Norden, niemand schert aus, niemand achtet auf die anderen Fahrzeuge, schon gar nicht auf Fred Hübner in dem alten Daimler.
Eigentlich sollte das anders sein.
Immerhin erntet Fred jetzt von dem Fahrer des entgegenkommenden Autos einen kurzen irritierten Blick, wobei nicht ganz zu klären ist, ob der alte Mercedes oder seine ungewöhnliche Fracht auf der Rückbank und dem Beifahrersitz den Blick ausgelöst haben. Na bitte, geht doch, denkt Fred und stellt das Radio lauter. Die Bässe des Stones-Hits
I can’t get no satisfaction
rollen durch den Innenraum und dringen durch die offenen Fenster nach draußen.
Jetzt werden schon mehr Wagen auf Fred am Steuer des silberfarbenen Oldtimers aufmerksam. Und da greift der erste Fahrer auf der Gegenspur auch schon zum Handy. Natürlich kann Fred nicht sagen, ob der Typ auch wirklich die Polente anrufen wird, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zum Schluss. Außerdem kann man vielleicht noch ein wenig nachhelfen. Die Taste für die Warnblinkanlage ist schließlich nicht zu übersehen.
Nun gucken fast alle Insassen der entgegenkommenden Fahrzeuge zu Fred hinüber. Und weil sie, um genau hinzusehen, ihr eigenes Auto ein wenig abbremsen müssen, übermitteln sie die Botschaft auch gleich an ihre Hintermänner. Und von denen greifen jetzt etliche zum Handy. So ist es recht. Fred lehnt sich zufrieden zurück und klopft im Takt des Stones-Hits auf sein Lenkrad. Dann sieht er auf die Uhr.
Drei nach zwei am Mittag. Er ist ein wenig zu spät, aber das macht ihm keine Sorgen. Ein echter Star lässt eben manchmal auf sich warten. Dann kann der Empfang nur umso herzlicher sein.
Fred lehnt sich zurück, hebt den rechten Arm und dreht an der Kurbel für das Schiebedach. Es gibt einen winzigen Widerstand zu überwinden, aber dann öffnet sich Freds
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