Entführung des Großfürsten
schön zerweht, was?« (Mein Backenbart war in der Tat von der frischen Seebrise etwas zerzaust, und ich mußte ihn für die Dauer der Reise ein wenig kürzen.) »Sei ein Kumpel und lauf rasch zum Büfettmeister, dem alten Geizkragen, sag, Seine Hoheit braucht eine Flasche Rum, um der Seekrankheit vorzubeugen.«
Endlung hatte mich schon während der Bahnfahrt nachSewastopol ständig im Beisein Seiner Hoheit verspottet und gehänselt, ich hatte es hingenommen und auf eine Gelegenheit gewartet, mich unter vier Augen mit ihm auszusprechen. Nun war die Gelegenheit gekommen.
Ich nahm mit zwei Fingern die Hand des Leutnants (der damals noch nicht Kammerjunker war) von meiner Schulter und sagte höflich: »Wenn es Ihnen, Herr Endlung, in den Sinn kommt, sich um die Definition meiner Seele zu sorgen, dann ist ›Lakaienseele‹ nicht das richtige Wort, denn für meinen langen untadeligen Dienst am Hof Seiner Hoheit wurde mir der Titel eines Hoffouriers verliehen. Das entspricht dem Rang eines Titularrats, eines Stabshauptmanns in der Armee oder eines
Leutnants zur See.
« (Die letzten Worte betonte ich besonders).
Endlung fauchte: »Ein Leutnant bedient nicht bei Tisch.«
Darauf ich: »Mein Herr,
bedient
wird im Restaurant, doch der kaiserlichen Familie dient man. Auf Ehre und Gewissen.«
Nach diesem Vorfall war Endlung wie Samt und Seide: Er sprach höflich mit mir, erlaubte sich keine Scherze mehr, siezte mich.
Ich muß dazu sagen, daß wir Hofdiener zum Siezen und Duzen ein besonderes Verhältnis haben, denn wir haben einen besonderen Status. Es ist schwer zu erklären, wie es kommt, daß manche mich mit dem Duzen kränken, andere mit dem Siezen. Dienen kann ich nur den Letzteren, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Ich versuche es zu erklären. Die Anrede mit »du« ertrage ich nur von Angehörigen der kaiserlichen Familie. Was heißt ertragen, ich halte sie für ein Privileg und eine besondere Auszeichnung. Ich wäre sehr betroffen, wenn Großfürst Georgi, seine Gattin oder eines ihrer Kinder mich plötzlich siezenwürde. Vor drei Jahren hatte ich eine Meinungsverschiedenheit mit der Großfürstin Jekaterina Ioannowna hinsichtlich eines Stubenmädchens, dem sie zu Unrecht Leichtfertigkeit vorgeworfen hatte. Ich blieb bei meiner Meinung, die Großfürstin war gekränkt und siezte mich eine ganze Woche lang. Ich litt sehr, magerte ab, konnte nachts nicht schlafen. Dann sprachen wir uns aus. Sie sah mit der ihr eigenen Großmut ihren Irrtum ein, ich bekannte mich auch schuldig und durfte ihr die Hand küssen, und sie küßte mich auf die Stirn.
Aber ich bin abgeschweift.
Die beiden Spieler wurden vom Lakaien Lipps bedient, einem der Neuen, den ich mitgenommen hatte, um herauszufinden, was er wert war. Früher hatte er auf dem estnischen Gut des Grafen Benckendorff in Diensten gestanden und war mir von dessen Majordomus, einem alten Bekannten, empfohlen worden. Er sei anstellig und nicht geschwätzig; aber einen guten Diener erkennt man nicht so schnell wie einen schlechten. Am Anfang gibt jeder sein Bestes, da muß man schon ein halbes bis ein Jahr, manchmal auch zwei Jahre abwarten. Ich beobachtete, wie Lipps Cognac einschenkte, wie geschickt er eine beschmutzte Serviette wechselte, wie er dastand – das ist sehr, sehr wichtig. Er stand richtig, trat nicht von einem Bein aufs andere, drehte nicht den Kopf hin und her. Vielleicht kann ich ihn bei kleinen Empfängen auch auf Gäste loslassen, dachte ich.
Das Spiel ging indessen weiter. Zuerst verlor Endlung, und Großfürst Pawel ritt auf ihm den Korridor entlang. Dann verließ das Glück Seine Hoheit, und der Leutnant verlangte, daß der Großfürst völlig nackt zum Toilettenraum laufe und von dort ein Glas Wasser bringe.
Während Großfürst Pawel sich lachend entkleidete,schlüpfte ich hinaus, winkte den Kammerdiener heran und befahl ihm, keinen der Diener in den Salon des Großfürsten zu lassen, dann holte ich aus dem Abteil des Diensthabenden einen Überwurf. Als Seine Hoheit, seine Blöße mit der Hand bedeckend, in den Korridor gesprungen kam, wollte ich ihm den Umhang überwerfen, aber das wies er empört zurück und sagte, er müsse sein Wort halten, lief sodann zum Toilettenraum und wieder zurück, wobei er sehr lachte.
Bloß gut, daß Mademoiselle Déclic nicht auf das Lachen herauskam. Der kleine Großfürst Michail Georgijewitsch schlief trotz der späten Stunde noch nicht – er hüpfte auf die Sitzbank und schaukelte sich dann am Vorhang. Für
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