Entführung des Großfürsten
erzählen, daß zuweilen in mondlosen Nächten eine weiße Gestalt mit Haube durch den Korridor wandelt, in der Hand ein Säckchen, in dem Spielsteine klappern.«
Somow kicherte wieder, um zu zeigen, daß er als aufgeklärter Mann an solchen Humbug nicht glaubte. Ich jedoch nahm die Sache ernst, denn jeder Diener, besonders wenn er wie ich einer alten Dynastie von Haushofmeistern entstammt, weiß, daß es Gespenster und Erscheinungen tatsächlich gibt und daß es dumm und verantwortungslos wäre, über sie zu spotten. Ich fragte, ob der Geist der Gräfin nur mit den Steinen klappere oder auch Böses tue. Somow antwortete, nein, in den nunmehr fast hundert Jahren seien keine üblen Streiche vorgekommen, das beruhigte mich. Soll sie durch den Korridor spazieren, das ist nicht weiter schlimm. Bei unsim Fontanny-Palais geht das Gespenst des Kammerjunkers Shicharjow um, eines bildschönen Mannes, der Favorit von Katharina der Großen geworden wäre, wenn ihn nicht Fürst Subow vergiftet hätte. Dieser Bewohner (oder besser
Nichtbewohner
?) benimmt sich höchst unanständig: Er kneift im Dunkeln die Damen und Dienerinnen und gebärdet sich besonders wild in der Johannisnacht. An Personen der kaiserlichen Familie wagt er sich freilich nicht heran – immerhin ist er Kammerjunker. Dann haben wir im Anitschkow-Palais das Gespenst einer Schülerin vom Smolny-Institut, die angeblich von Nikolaus dem Ersten verführt wurde und später Hand an sich legte. Des Nachts geht sie durch die Wände und läßt kalte Tränen auf die Gesichter der Schlafenden fallen.
Mit dem Gespenst konnte Somow mich also nicht erschrecken. Bedenklich fand ich, daß das Haus tatsächlich sehr eng war und notwendiger Bequemlichkeiten entbehrte. Kein Wunder, denn seit die Hofverwaltung das Anwesen vor einem halben Jahrhundert von den Grafen Tschesmenski gekauft hatte, war nichts erneuert worden.
Ich ging durch die Etagen und überschlug, was als erstes zu tun war. Ich mußte zugeben, daß Somow gute Arbeit geleistet hatte: Von den Möbeln waren die Überzüge abgenommen, alles blitzte vor Sauberkeit, in den Schlafräumen standen frische Blumen, der Flügel im großen Salon war gestimmt.
Die Beleuchtung erbitterte mich – nicht einmal Gaslampen, sondern vorsintflutliche Ölfunzeln. Ach, hätte ich wenigstens eine Woche Zeit – ich würde im Keller eine kleine Elektrostation einrichten und Leitungen legen lassen, und schon nähme die Eremitage ein ganz anderes Aussehen an. Solche Öllampen hatten wir im Fontanny-Palais vor dreißigJahren gehabt. Also brauchten wir hier einen Lampenwärter, der Öl nachfüllte – die Lampen waren in England gefertigt und hatten ein Uhrwerk, das vierundzwanzig Stunden lief.
Apropos Uhren. Ich zählte im Hause neunzehn Stand- und Wanduhren, und alle gingen unterschiedlich. Ich beschloß, die Uhren selbst zu stellen und aufzuziehen, denn das erforderte Akkuratesse und Gewissenhaftigkeit. Ein gut geführtes Haus ist daran zu erkennen, ob die Uhren in allen Zimmern dieselbe Zeit anzeigen. Das wird Ihnen jeder erfahrene Haushofmeister bestätigen.
Ich entdeckte nur einen Telephonapparat und ordnete an, noch zwei Leitungen zu legen: eine ins Kabinett des Großfürsten Georgi und die andere in mein Zimmer, da ich sicherlich ständigen Kontakt zum Alexandra-Schloß, zum Haus des Generalgouverneurs und zur Hofverwaltung unterhalten mußte.
Aber zuerst mußte ich entscheiden, wen ich wo unterbrachte, und das machte mir einiges Kopfzerbrechen.
In beiden Etagen des Hauses gab es nur achtzehn Zimmer. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie alle Platz gefunden hätten, wenn die Großfürstin mit den restlichen Kindern und dem Hofstaat mitgekommen wäre. Somow erzählte, daß der Familie des Großfürsten Nikolai Konstantinowitsch, bestehend aus acht Mitgliedern und vierzehn Angehörigen der Suite, nicht gerechnet die Dienerschaft, eine Villa mit fünfzehn Zimmern zugewiesen worden war, so daß sich drei, vier Höflinge einen Raum teilen mußten und die Bediensteten im Pferdestall untergebracht wurden! Schrecklich, auch wenn Großfürst Nikolai in der Rangfolge zwei Stufen unter dem Großfürsten Georgi stand.
Leider hatte Seine Hoheit zur Krönung seinen FreundLord Banville eingeladen, der gegen Abend mit dem Zug aus Berlin eintreffen würde. Zum Glück war der Engländer Junggeselle, dennoch benötigte er zwei Zimmer: eins für sich und eins für seinen Butler. Da durfte man sich Gott behüte keine Blöße geben. Ich kenne diese
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