Entscheidung auf Mallorca
Wulf, der leichenblaß dastand und mit schleppender Stimme berichtete, was er an jenem Unglücksabend vor den Inseln von Formentor getan und später erlebt hatte.
Niemand unterbrach ihn. Als er endete, herrschte eine beinahe gespenstische Stille im Saal, die nur von einer am Gerichtsgebäude vorbeifahrenden Straßenbahn unterbrochen wurde.
Der Vorsitzende wandte sich an die Beisitzer, mit denen er einige Worte wechselte. Dann verkündete er, daß die Sitzung für fünfzehn Minuten unterbrochen sei.
Wulf sah seinen Vater wie einen geprügelten Hund aus dem Raum schleichen. Seine Mutter weinte lautlos vor sich hin.
Für euch tut’s mir leid, dachte er. Aber was sollte ich machen? So hätte ich nicht weiterleben können.
Er blickte zu Harald hinüber, der sich erhob und zu ihm herübergrüßte. Miriam hielt den Kopf gesenkt, als scheue sie sich, ihr Gesicht zu zeigen.
Der Verteidiger trat an ihn heran. »Den Prozeß hatte ich mir nun ja etwas anders vorgestellt«, sagte er. »Aber ich verstehe Sie.«
»Kümmern Sie sich um meinen Vater«, bat Wulf. »Er ist soeben hinausgegangen. Bei ihm gehen die Nerven leicht durch. Sagen Sie ihm, es sei gut, daß ich mein Gewissen erleichtert habe. Auch für ihn. Das könne uns nur näherbringen.«
Als der Anwalt den Saal verließ, sah Wulf, daß Harald Miriam etwas zuflüsterte. Dann ging er ebenfalls nach draußen, und Miriam suchte seine Mutter auf, setzte sich neben sie und sprach mit ihr.
Etwa zehn Minuten vergingen so, dann kehrte Harald mit dem Vater zurück.
Ich hab’s geahnt, dachte Wulf. Er ist ein anständiger Kerl.
Gleich darauf erschien auch der Anwalt.
»Konnten Sie meinen Vater etwas beruhigen?« fragte ihn Wulf.
»So gut es ging. Ihr Freund leistete glänzende Hilfestellung. Vernünftiger Mann.«
Wulf nickte. »Wie geht es nun weiter?«
»Ich denke, daß Ihr Geständnis das Urteil günstig beeinflussen wird. Verhandelt wird natürlich nur die anstehende Sache.«
»Und das andere?«
»Sie meinen Ihr spanisches Erlebnis?« Der Verteidiger zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen. Der Vorsitzende kann dem Staatsanwalt anheimstellen, die Sache aufzugreifen und Anklage zu erheben. Der Staatsanwalt dürfte das aber kaum machen, da Sie das Boot ja nicht steuerten, den Tod also nicht verschuldet haben. Bleibt die Schmuggelei, die unter Umständen unter eine inzwischen erlassene Amnestie fällt. – Die zweite Möglichkeit: Die Angelegenheit wird an ein spanisches Gericht überwiesen. Das macht man normalerweise nicht, wenn die Tat – in Ihrem Fall die Schmuggelei – nach hier geltendem Recht strafbar ist. Es wäre aber denkbar, daß man sich sagt: Übergeben wir die Sache der zuständigen spanischen Behörde, damit ein Verfahren in Gang gebracht wird, das dem Sonnenbebrillten das Handwerk legt und vielleicht sogar die Organisation der Opiumschmuggler aufdecken kann.«
Der Anwalt hatte richtig vermutet. Als das Gericht wieder zusammentrat, verkündete der Vorsitzende, daß der Angeklagte wegen Trunkenheit am Steuer zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten bei einer Bewährungsfrist von zwei Jahren verurteilt werde. Außerdem werde ihm die Fahrerlaubnis auf die Dauer von einem Jahr entzogen. Dem Staatsanwalt wurde anheimgestellt, in der vom Angeklagten eingestandenen Sache Strafantrag zu stellen oder aber die spanische Strafbehörde einzuschalten.
»Kommen Sie«, sagte der Anwalt, als das Urteil verkündet worden war und Wulf nicht recht wußte, was er tun sollte. »Sie können zufrieden sein. Ihr Bekenntnis hat das Urteil günstig beeinflußt, und ich gehe jede Wette ein, daß Sie in der spanischen Angelegenheit freigesprochen werden – gleichgültig, ob sie nun hier oder in Spanien verhandelt wird.«
Wulf hörte die Worte, nahm sie aber nicht auf. Er konnte später nicht einmal sagen, wie er aus dem Gerichtssaal herausgekommen war. Er wußte nur, daß er plötzlich auf einem kahlen Flur vor seinen Eltern und vor Miriam und Harald gestanden hatte.
Der Vater umarmte ihn. Die Mutter schluchzte. Harald reichte ihm die Hand, und Miriam gab ihm einen schüchternen Kuß auf die Wange.
»Komm«, sagte der Vater, »jetzt gehen wir erst mal ins Hotel.«
Wulf schüttelte den Kopf. »Laßt mich allein.« Er sah von einem zum anderen. »Versteht mich. Ich melde mich, wenn’s wieder geht.« Damit drehte er sich um und ging.
Sein Vater wollte ihn zurückhalten.
Harald ergriff dessen Arm. »Nicht«, sagte er. »Lassen Sie ihm Zeit. Sie können ohne Sorge sein.
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