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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wieherte schwach und scharrte mit den Vorderhufen im Sand, fast als hätte es verstanden, was sein Herr gesagt hatte.
    »Wir müssen weiter«, murmelte er, ohne sich umzudrehen. »In ein paar Stunden ist es zu heiß zum Reiten.«
    Er hörte, wie Del umständlich aufstand und sein Sattelzeug zusammensuchte. Skar hatte sein eigenes Tier schon vor Stunden gesattelt, lange bevor die Sonne aufgegangen war und mit ihrer unbarmherzigen Glast jede noch so kleine Bewegung zur Qual werden ließ. Wahrscheinlich wäre er jetzt gar nicht mehr fähig gewesen, den schweren Sattel vom Boden hochzuwuchten und auf den Rücken des Pferdes zu stemmen. Er hatte in dieser Nacht — wie in den Nächten zuvor —kaum geschlafen. Obwohl er seinem Körper das Letzte abverlangt hatte, verspürte er noch immer die gleiche Unruhe und Rastlosigkeit wie am ersten Tag. jeder einzelne seiner schmerzenden Muskeln schrie nach Ruhe, aber sein Geist weigerte sich, dem Körper dieses Bedürfnis zu erfüllen. Selbst die wenigen Stunden, die er wirklich geschlafen hatte, waren von Alpträumen und Visionen geplagt gewesen, und er war müder und zerschlagener aufgewacht, als er sich hingelegt hatte. Auch in dieser Nacht war es nicht anders gewesen. Stundenlang hatte er auf dem Hügelkamm über dem Lager gehockt und Wache gehalten. Niemand wäre so wahnsinnig, sie bis hierher zu verfolgen. Nicht einmal die Quorrl. Das letzte Mal, daß sie ihre Spur in Form einer riesigen, trägen Staubwolke über dem Horizont gesehen hatten, war vor drei Tagen gewesen.
    Er lehnte sich gegen die struppige Flanke des Tieres, tastete mit der Linken nach der Mähne und krallte sich hinein, um nicht zusammenzubrechen. Natürlich würde das nicht wirklich geschehen — zwischen ihm und dem Moment, in dem seine Beine das Gewicht des Körpers nicht mehr zu tragen imstande waren, lag immer noch Zeit. Aber es war nur noch reine Willenskraft, Konzentration, die er auch bei den einfachsten Handlungen aufbringen mußte. Und er spürte auch, wie das Reservoir an Kraft in seinem Inneren mit jedem Atemzug, den er sich abquälte, mehr zusammenschrumpfte.
    Neben ihm quälte sich Del mit dem Sattelzeug ab. Seine Brust hob und senkte sich in schnellen Stößen, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Er keuchte. Eigentlich wäre es Skars Pflicht gewesen, ihm zu helfen, aber selbst dazu fehlte ihm die Kraft. Dabei war jetzt, kurz nach Sonnenaufgang, noch die kühlste Zeit des Tages. Später würde selbst das Atemholen zu einer Tortur werden.
    Müde beobachtete er, wie Del den Sattel aus steinhartem Leder hochstemmte. Das Gesicht des jungen Satai wirkte grau und eingefallen. Die Haut spannte sich trocken wie rissiges Pergament über den hervorstehenden Wangenknochen. Seine Augen wirkten eitrig und entzündet, und der Mund war zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammengeschrumpft, der in der grauen Fläche des Gesichts wie eine schwärende Narbe aussah. Skar hätte nie geglaubt, daß ein Mann in wenigen Tagen um Jahrzehnte altern konnte, aber Del war der lebende Beweis dafür. Aber wahrscheinlich, dachte er, bot er selbst auch keinen wesentlich reizvolleren Anblick.
    »Reiten wir los?«
    Del nickte kraftlos, griff nach dem Zügel und zog sich umständlich in den Sattel. Das Pony ächzte hörbar unter dem zusätzlichen Gewicht. Aber es reagierte gehorsam auf den Druck von Dels Schenkeln und trabte los. Skar folgte ihm in geringem Abstand.
    Unter den Hufen der Pferde wirbelte trockener brauner Sand auf, während sie dem Ende des Hügeltales entgegentrabten. Am ersten Tag waren sie geradewegs nach Osten geritten, aber es hatte sich als zu kräftezehrend erwiesen, die manchmal mehr als hundert Manneslängen hohen Sanddünen zu erklimmen, nur um auf der anderen Seite wieder hinunterzureiten. Seither folgten sie einem willkürlich gewundenen Kurs, der sie von einem Hügeltal ins andere führte. Hinter dem braunen Buckel der Düne würde eine weitere warten, eine weitere, rotbraun gemusterte Senke, vielleicht ein wenig länger und breiter als diese, vielleicht auch kürzer, tiefer. Aber im Grunde glichen sie sich eine wie die andere. Hinter dieser würde die nächste warten, dann wieder eine, wieder. Endlos. Sie ritten seit fünf Tagen durch eine Hölle aus hitzeflirrender Luft und halbflüssigem Sand, aber Skar hatte das Gefühl, schon seit Jahren, Jahrhunderten durch die endlose Monotonie der Sanddünen zu traben. Hätte ihm jemand erzählt, daß sich diese gottverdammte Einöde bis ans Ende der

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