Enwor 4 - Der steinerne Wolf
auch nur übernervös. Die zweiwöchige Schiffsreise hatte mehr an seinen Kräften gezehrt, als er zugeben wollte, und die Nähe Elays und damit Velas tat ein übriges, ihn gereizt und vielleicht übervorsichtig werden zu lassen. Seit er Vela und die Sumpfleute verlassen und sich allein auf den Weg zu der Verbotenen Stadt im Herzen des Drachenlandes gemacht hatte, hatte er fast ununterbrochen an die ehemalige
Errish
gedacht, an sie und an das, was ihn erwarten mochte. Wenn man lange genug über eine unbekannte Gefahr nachdachte, dann fing man irgendwann einmal an, Gespenster zu sehen.
Aber der Thbargsegler dort drüben war kein Gespenst. Ganz und gar nicht.
Skar atmete hörbar ein, trat einen Schritt von der Reling zurück und sah sich unschlüssig an Deck um. Am liebsten wäre er in seine Kabine gegangen und dort geblieben, bis der Thbarg weitergesegelt war, aber das hätte zu sehr nach Flucht ausgesehen. Einen Moment überlegte er, ob er einfach seinen Mantel abstreifen und sich unter die Mannschaft mischen sollte, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Die Besatzung der SHANTAR bestand ausschließlich aus kleinen, gelbhäutigen Freiseglern, unter denen er sofort aufgefallen wäre.
Er merkte plötzlich, daß Andred ihn beobachtete, drehte sich verlegen um und lächelte. »Ist es normal, daß ein Schiff auf hoher See den Kurs ändert, nur weil die Kapitäne einen Plausch halten wollen?« fragte er, ehe Andred Gelegenheit hatte, eine Frage zu stellen. Skars Verhalten konnte dem Freisegler nicht entgangen sein.
Aber wenn er sich seine Gedanken darüber machte, so ließ er sich — jedenfalls im Augenblick — nichts anmerken. »Manchmal«, sagte er. »Zumindest auf hoher See. In Küstennähe wie hier ... Vielleicht brauchen sie Wasser oder Proviant«, sagte er achselzuk-kend. »Oder einen Heilkundigen. Wir werden es in wenigen Augenblicken wissen.«
Skar zuckte zusammen und sah beinahe erschrocken an Andred vorbei nach Westen. Der Thbarg hatte schon fast die halbe Entfernung zurückgelegt und kam rasch näher. Die Segel an den vier großen Masten waren gebläht, und vor dem beilscharfen Ramm-sporn des Schiffes gischtete eine weiße Bugwelle. Andred hatte nicht übertrieben — der Thbarg
war
doppelt so schnell wie die SHANTAR; mindestens.
»Wenn du unter Deck gehen willst«, sagte Andred plötzlich, »dann tu es, solange noch Zeit ist. Von der Mannschaft wird niemand verraten, daß du an Bord bist. Freisegler nehmen normalerweise keine Passagiere mit.«
»Ich ...« Skar schüttelte den Kopf, sah Andred jedoch nicht direkt an. »Wie kommst du darauf, daß ich unter Deck möchte?« fragte er ausweichend.
Der Freisegler grinste, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Nur so«, murmelte er. »Du siehst nicht gerade aus wie ein Mann, der sich über das Zusammentreffen freut.«
Skar warf ihm einen finsteren Blick zu, schwieg jedoch und starrte dem näher kommenden Thbarg entgegen. Das Kaperschiff pflügte wie ein gewaltiger schwarzer Wal durch die Wellen. Es war größer als die SHANTAR, aber schlanker, so daß die Kraft des guten Dutzends Segel, die sich an den vier Masten blähten, optimal genutzt wurde und dem Schiff eine erstaunliche Geschwindigkeit — und wohl auch Wendigkeit — verlieh. Seine Bordwand war gut eine Manneslänge höher als die des Freiseglers, und hinter der hohen, durchbrochenen Reling waren die Drachenköpfe zahlreicher gespannter Katapulte zu erkennen, als das Schiff näher kam.
»Das ist seltsam«, murmelte Andred.
»Was?«
»Der Rauch dort — siehst du ihn?« Der Freisegler deutete auf das Heck des Thbarg. Eine Anzahl dünner, schwarzgrauer Rauchsäulen erhob sich vom Achteraufbau des Kaperseglers. Sie trieben fast sofort im Wind auseinander, waren jedoch trotzdem deutlich zu erkennen. Über dem hinteren Teil des Schiffes schien die Luft leicht zu flimmern, als wäre sie erhitzt. Skar nickte. »Kohlen«, erklärte Andred. »Für die Katapulte. Sie sind in voller Kampfbereitschaft.«
»Hast du nicht gerade erst gesagt, daß du keinen Streit mit den Thbarg hast?« fragte Skar mit mühsam beherrschter Stimme.
»Das gilt nicht uns«, widersprach der Freisegler. »Wollten sie uns angreifen, hätten sie es längst getan. Wir sind längst in ihrer Reichweite. Außerdem würde er dann kaum längsseits gehen, sondern uns im rechten Winkel rammen.« Seine Zunge fuhr in einer raschen, nervösen Bewegung über seine Unterlippe, und die Worte klangen nicht ganz so überzeugt, wie sie es
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