Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
neu davon überzeugen, daß die eine Hälfte ihres Gesichts noch unbeschädigt und heil war und das verbrannte Narbengewebe nicht etwa über Nacht unbemerkt weiter über die Grenze zwischen Engel und Teufel, die sich in ihr Antlitz gebrannt hatte, gekrochen war. »Die Späher sind zurück«, fuhr sie in verändertem, bewußt sachlichem Ton fort. »Es ist so, wie ich es gesagt habe: Der Paß ist verschneit. Du mußt schon fliegen lernen, um über die Berge zu kommen.«
    »Ich werde trotzdem gehen«, sagte Skar ruhig.
    Gowenna seufzte. »So nimm doch endlich Vernunft an, Skar. Es ist unmöglich. Du kannst nicht über den Paß. Niemand kann das.« »Niemand?« Skar lächelte, bewußt kalt und bewußt verletzend. »Vela hat es geschafft.«
    »Das vermutest du«, erwiderte Gowenna. »Aber es kann auch sein, daß sie irgendwo an einem geschützten Ort überwintert, während du in dein Unglück rennst.«
    »Du weißt so gut wie ich, daß das nicht stimmt«, sagte Skar. »Sie ist jetzt bereits auf dem Weg nach Elay, und wenn wir warten, bis der Winter vorbei ist, dann wird sie ihre Macht bereits gefestigt haben, bevor wir überhaupt aufbrechen.«
    » Und du wirst unsere letzte Chance, sie aufzuhalten, verspielen, wenn du jetzt losreitest und dich umbringst. Wahrscheinlich hast du recht, aber du vergißt dabei eine Kleinigkeit, Skar: Sie hat den Stein, um sich den Weg zu bahnen. Du nicht.«
    Skar wandte sich um und sah lange und nachdenklich zu dem Gebäude am anderen Ende des Hofes hinüber. »Es ist sinnlos, Gowenna«, murmelte er. Er wollte nicht mehr diskutieren, weder mit ihr noch mit irgendwem. Vielleicht hatte sie recht, aber er war einfach müde, zu müde, um auch nur über ihre Argumente nachzudenken. »Ich werde gehen. Noch heute. Ich... hätte es längst tun sollen.«
    »Wenn du stirbst, Skar, dann verliert Enwor vielleicht seine letzte Chance.«
    »Enwor...« Die Schwärze hinter dem rechteckigen Eingang schien sich zu verdichten. Es war ein Grab. Selbst wenn Del sich nach einer Weile von seinem Totenbett erheben und das Haus verlassen würde, würde es nur ein Schatten des jungen Satai sein. Und er, Skar, wollte es nicht erleben. »Was kümmert mich die Welt, Gowenna«, sagte er abfällig. »Sie wird nicht untergehen, wenn ich sterbe. Vielleicht hat Vela sogar recht, und Enwor wird besser, wenn es Männer wie mich nicht mehr gibt.«
    Gowenna erstarrte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht verhärtete sich. »UndFrauen wie mich, nicht wahr? Das meinst du doch?«
    Skar zögerte einen Moment zu antworten. Er wußte genau, wie sinnlos es war, dieses Spiel fortzusetzen. Es war wieder die alte Gowenna, wie er sie seit dem ersten Tag kannte. Sie wechselte ihre Taktik, schnell und ohne wirklich zu überlegen, instinktiv auf der Suche nach einer verwundbaren Stelle, nach einer Lücke in seiner Deckung, nach irgend etwas, wo sie ihn packen und festhalten konnte. Sie hatte noch nicht begriffen, daß es den Skar, mit dem sie geritten war, nicht mehr gab.
    »Vielleicht«, sagte er schließlich. » Vielleicht sind wir beide nur Überbleibsel einer Welt, die schon längst gestorben ist, Gowenna. Vielleicht ist unsere Welt schon tot, ohne daß wir es bisher bemerkt haben, und vielleicht gehört die Zukunft Menschen wie Vela.«
    Gowenna verzog abfällig das Gesicht. » Wenn du wirklich so denkst, Skar«, sagte sie, »warum nimmst du dann nicht dein verdammtes Schwert und stürzt dich hinein?«
    »Vielleicht werde ich das tun, Gowenna«, antwortete er ernst. » Wenn alles vorbei ist.«
    Gowenna wollte etwas erwidern, aber Skar drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ließ sie stehen.
    Der schwere Regen der letzten zehn Tage hatte aufgehört, und das Meer war so ruhig, wie man es sonst nur vor einem Sturm beobachten konnte. Aber der Himmel war leer, und als die Sonne aufging und mit ihren wärmenden Strahlen auch den letzten Rest von Morgennebel und Dunst zu vertreiben begann, war nicht einmal die winzigste Wolke zu entdecken.
    Trotzdem machte die SHANTAR gute Fahrt — die Segel, die während der letzten Wochen mehr als nur einmal naß und schlaff von den Rahen gehangen hatten, blähten sich unter einer steifen, beständigen Brise, und die zwanzig Doppelruder aufjeder Seite verliehen dem Freisegler zusätzliche Geschwindigkeit, so daß das scheinbar plumpe Schiff mit überraschendem Tempo an der Küste entlangglitt. Das verquollene Holz der Masten, zehn Tage lang vollgesogen mit Regen und Nebel, dessen Feuchtigkeit beharrlich in jede

Weitere Kostenlose Bücher