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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lange tatenlos herumzusitzen. Ging die Rechnung nicht auf, würden sie trotzdem fliehen müssen. Eine Woche oder einen Monat älter und erschöpfter. Nein — es blieb ihnen keine andere Wahl.
    Wie oft hatte er diese Worte schon gedacht, seit er Gowenna zum ersten Mal begegnet war? Zu oft aufjeden Fall. Zu oft hatte er keine andere Wahl mehr gehabt, als das Falsche zu tun. Es war falsch gewesen, Ikne zu verlassen; falsch, nach Combat zu gehen; und falsch, sich Vela auf den brennenden Ebenen vor der Stadt in den Weg zu stellen; falsch, ihr nach Elay zu folgen, falsch, falsch...
    Er sah auf, aber Gowenna hatte sich ein paar Schritte entfernt und stand hoch aufgerichtet und starr im Wind, das Gesicht den Bergen am Horizont zugewandt, und er spürte, daß es nicht richtig wäre, sie jetzt zu stören. Vielleicht war es das letzte Mal in ihrem Leben, daß sie noch einmal so etwas wie Hoffnung verspüren konnte.
    Er sah wieder auf den See hinab. Das Bild wirkte so friedlich, so absurd friedlich.
    Aber wann hatte er das letzte Mal wirklichen Frieden empfunden? Seine Gedanken kehrten wieder — vielleicht ausgelöst durch die gleiche Situation, die Tatsache, daß er zum zweiten Mal in kurzer Zeit auf der Zinne dieser eisigen Festung stand, zum zweiten Mal nicht allein und doch einsamer als je zuvor in seinem Leben, und zum zweiten Mal am Vorabend einer Schlacht, die er nicht gewinnen konnte — vielleicht ausgelöst durch diese Wiederkehr der Umstände, dachte er wieder an Del, und wieder verspürte er diese seltsame Mischung aus Trauer und Zorn und Verbitterung, wieder war es der Del, den er in Cosh verloren hatte, nicht der, welcher in der Höhle unter ihnen über die schlafende Errish wachte. Ein Bild stieg vor seinem inneren Auge auf; eigentlich zwei Bilder, in einer blitzartigen Vision vermengt zu einem einzigen. —Er sah noch einmal die schwarze, hornschimmernde Gestalt auf dem Achterdeck des Dronte, und er sah noch einmal Brad, der mit einem lautlosen Schrei auf den Lippen in die Tiefe stürzte.
    »Woran denkst du?«
    Skar sah auf, hielt Gowennas Blick einen Moment stand und starrte dann wieder auf den See hinab. »An Del«, antwortete er.
    »Del...« Irgendwie hatte das Wort in Gowennas Mund einen fremden, völlig anderen Klang. So, als spräche sie über einen ganz anderen Menschen als er. »Er hat sich verändert seit Elay, nicht?« Sie lächelte. »Er ist... erwachsen geworden.«
    »Du irrst dich«, entgegnete Skar ruhig. »Ich meine nicht den Del, der mit uns auf dem Schiff ist. Der, den ich meine, ist in Cosh gestorben.«
    Gowennas Miene verdüsterte sich. Sie blieb einen Moment reglos stehen, kam dann näher und berührte ihn an der Schulter, ganz sanft nur. Ihre Finger waren eisig und glatt, beinahe selbst wie Eis. »Wir hätten schon längst darüber reden sollen«, sagte sie. »Ich bin nicht blind, auch wenn du mir aus dem Weg gehst und nur mit mir sprichst, wenn es sich nicht umgehen läßt. Warum quälst du dich?«
    Skar hob den Arm und wollte ihre Hand abstreifen, aber er führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern umklammerte nur ihr Handgelenk. Sie zog ihre Hand nicht weg, wie sie es vorher immer getan hatte, aber er spürte, wie sie unter der Berührung zusammenfuhr.
    »Warum quälst du dich so?« fragte sie noch einmal. »Ich war lange genug mit ihm zusammen, um —« Sie brach ab, als sie den Ausdruck von Schmerz auf seinen Zügen sah. Wie sollte er ihr erklären, was in ihm vorging? Er hatte Dels Leiche gesehen, einen toten, ausgebluteten Körper, halb vergraben im Schnee. Er hatte die Totenwache neben ihm gehalten, vier Tage, wie es Sitte war, und er hätte ihn begraben, mit eigenen Händen, würde er die Zeit dazu gehabt haben. Er WUSSTE, daß Del tot war.
    »Was die Sumpfleute getan haben«, sagte Gowenna sanf, »war keine Zauberei, Skar. Du hast sie erlebt — du hast mit Cosh selbst gesprochen, Skar, du weißt, wozu dieses Wesen in der Lage ist.«
    Ja, er wußte es. Noch jetzt glaubte er einen schwachen Hauch der ungeheuren geistigen Macht zu spüren, die ihn gestreif, irgend etwas in seiner Seele berührt und verändert hatte. Nicht einmal der Tod konnte für dieses Wesen unbesiegbar sein.
    Und trotzdem. Wenn er die Augen schloß, sah er Dels totes Gesicht, wenn er mit ihm sprach, hörte er den Wind, der die Melodie zu seiner Totenwache gesungen hatte.
    »Während du auf dem Weg nach Elay warst, Skar«, sagte Gowenna, »war er bei mir. Wir waren vier Monate zusammen. Und es gab während

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