Enwor 7 - Das schweigende Netz
Worte nicht vergessen, obwohl es ihm unglaublich lange erschien, daß er sie vernommen hatte. Sie vernichteten sich gegenseitig: das Volk, dem diese Welt gehörte, und das mächtig genug geworden war, in gigantischen silbernen Schiffen zu den Sternen zu segeln, und all das, was es von diesen Sternen hierher holte. Und er hatte auch das andere nicht vergessen, was Vela ihm erzählt hatte: daß sie, als alles schon verloren schien, als Enwor bereits brannte und aus einer blühenden Welt eine Hölle wurde, einen letzten, verzweifelten Versuch unternahmen, eine Verbindung zu jenen Sternenwesen zu erschaffen, ein Ungeheuer, halb Mensch, halb Sternenkreatur, halb Gott und halb Teufel.
Ihn.
Oh, natürlich nicht ihn selbst, denn er war ein sterblicher Mensch, und das alles lag Tausende um Tausende von Jahren zurück, aber das
Etwas
in ihm, dieses finstere gestaltlose Ding, das er in Ermangelung eines besseren Namens stets seinen Dunklen Bruder genannt hatte, dies war ihr Erbe, der Nachkomme jenes entsetzlichen Gott-Teufel-Zwitters, den Männer wie Drask erschaffen hatten. Er hatte es immer gespürt, daß er etwas Besonderes war, daß ihn etwas von allen anderen Menschen unterschied. Aber verdammt, dachte er, von plötzlichem, rasendem Zorn erfüllt, niemand hatte ihn gefragt, ob er es auch wollte!
»Es wird wieder geschehen«, führte Drask weiter aus, mit sehr leiser, fast suggestiver Stimme. Er hatte die ganze Zeit geschwiegen, aber Skar war plötzlich sicher, daß er seine Gedanken gelesen hatte. »Du weißt es, Skar. Du hast den
Daij-Djan
gesehen, und du hast ihr Erwachen gespürt. Sie werden siegen. Enwor wird ein zweites Mal untergehen, wenn niemand diesen Krieg verhindert, und diesmal wird niemand mehr übrig bleiben, um es wieder aufzubauen.« Seine Worte waren fast ein Flüstern, aber von jenem zwingenden Klang, der es Skar einfach unmöglich machte, die Ohren davor zu verschließen. Mit einem letzten, klar gebliebenen Teil seines Verstandes begriff er, daß Drask all seine Erfahrung und jedes bißchen Macht, das ihm trotz der Drogen noch geblieben war, dazu einsetzte, ihn zu überzeugen, aber dieses Wissen nutzte nichts; vielleicht, weil er ebenso deutlich spürte, daß Drask trotz allem die
Wahrheit
sprach. Es lag in seiner Macht, vielleicht nicht den Krieg zu verhindern, aber es wenigstens zu versuchen.
»Und... wo sind sie?« fragte Skar. Selbst das Sprechen fiel ihm schwer. Er war nicht sicher, daß er diese Frage wirklich hatte stellen wollen. Das Durcheinander hinter seiner Stirn entwirrte sich nicht, sondern schien im Gegenteil immer schlimmer zu werden.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Drask leise. Seine Stimme verlor an Kraft, und Skar erkannte, daß er jetzt starb. Diese letzte Anstrengung war zu viel gewesen. Skar konnte regelrecht sehen, wie das Leben aus seinem Körper wich. Seine Augen verloren zusehends an Glanz, und etwas in ihm zerbrach. Ganz plötzlich sank er im Stuhl zurück. Sein Gesicht erschlaffte, und mit einem Male tat er Skar nur noch leid. »Irgendwo im Süden, Skar, vielleicht. Vielleicht sind sie schon hier, oder... nirgendwo.
Aber du bist der einzige, der sie finden kann. Such... meine Brüder, und du... du findest sie.«
Er bäumte sich auf. Ein Hustenanfall schüttelte seinen Körper, und Skar sah, wie eine der Wunden unter seinem Gewand wieder aufbrach, denn plötzlich zeigte sich auf seiner Brust ein feuchter dunkler Fleck, der rasch größer wurde. Aber er hob nur abwehrend die Hand, als Skar sich vorbeugen wollte, um ihm zu helfen. »Kann ich dir trauen, alter Mann?« fragte Skar leise.
»Warum bin ich wohl hiergeblieben, du Narr?« stöhnte Drask. »Du hattest recht — ich hätte fliehen können, und ich hätte noch ein verdammt langes Leben vor mir gehabt. Ich bin geblieben, um mit... mit dir zu sprechen.«
»Hast du mich deshalb gezwungen, meinen eigenen Sohn zu töten?« fragte Skar. In seiner Stimme war nicht einmal Vorwurf, ja, er suchte selbst in seinem Inneren vergebens nach einer Spur von Bitterkeit oder Zorn. Er verstand es nur nicht.
Drask machte eine Bewegung, die gleichzeitig ein Kopfschütteln wie ein Nicken war. »Ja«, antwortete er. »Es war der einzige Weg. Das Erbe der Götter wird im Fleisch weitergegeben. Vielleicht wäre der Sohn deines Sohnes wieder ein Mann wie du geworden, aber er war... nicht der Richtige. Und uns bleibt keine Zeit mehr zu warten. Ich verlange nicht, daß du mir verzeihst, Skar, aber vielleicht verstehst du es. Du mußtest
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