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Enwor 7 - Das schweigende Netz

Enwor 7 - Das schweigende Netz

Titel: Enwor 7 - Das schweigende Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Etwas war in ihm, etwas Neues und zugleich auf schreckliche Art Bekanntes und Altes, aber manchmal kam er sich vor, als stürbe er innerlich; sehr langsam, so daß er es selbst kaum merkte, aber unaufhaltsam. Selbst vor zwei Tagen, als sie Drasks Burg genommen hatten — er versuchte sich daran zu erinnern, aber es gelang ihm nicht; er besann sich nur auf Dinge, die er getan hatte, auf Handlungen und Worte, nicht auf das, was er
gefühlt
hatte —, hatte er nichts empfunden. Im wahrsten Sinne des Wortes
nichts.
Aber er hatte erst hinterher begriffen, daß es nicht die Kälte und Gelassenheit des Kampfes war, die er gespürt — oder vielmehr gerade
nicht
gespürt hatte, sondern die berechnende Gefühllosigkeit einer Maschine, die auf Kämpfen und Töten programmiert war und diese Aufgabe perfekt erfüllte. Ja, dachte er; Del hatte recht. Er
hatte
sich verändert, seit er vor drei Monaten im Tempel der Gesichtslosen Prediger tief unter den Bergen erwacht war. Er wußte noch nicht, was diese Veränderung in ihm bewirkte und was sie verursacht hatte, aber er hatte das Gefühl, daß es kein Wandel zum Guten war.
    Ein Geräusch irgendwo hinter ihm rief ihn in die Wirklichkeit zurück. Skar sah auf, identifizierte den Laut als das Öffnen der niedrigen Tür, die vom Treppenturm aus auf die Plattform des Turmes hinausführte, und drehte sich ohne spürbare Hast um. Auch dies war ein Luxus, den er seit langer Zeit zum ersten Mal wieder genoß: einen Laut hinter sich zu hören und sich umzuwenden, ohne Angst haben zu müssen oder gar — noch vor Monatsfrist unvorstellbar! — einfach stehenzubleiben. Er lächelte, als er den verwirrten Ausdruck auf den Zügen des jungen Satai-Schülers sah, der den Grund dieses Lächelns natürlich nicht wissen konnte und dadurch noch ein bißchen verwirrter wurde. »Herr?«
    Skar schluckte die scharfe Antwort hinunter, die ihm dieses Wort abverlangen wollte. Er hatte es aufgegeben, den Novizen immer und immer wieder zu sagen, daß sie ihn nicht
Herr
nennen sollten; vor allem, seit Del ihm nunmehr auch offiziell das Kommando über die Satai gegeben hatte. Er hatte es nicht gewollt, aber es war das kleinere von zwei Übeln gewesen — die Satai oder die Quorrl. Etwas in ihm hatte aufgeschrien wie ein getretener Hund, allein bei dem Gedanken, an der Spitze eines Heeres vierzigtausend fischgesichtiger
Quorrl
zu stehen.
    Nun, dachte er spöttisch, jetzt stand er an der Spitze eines Heeres von fünfhundert
Satai,
wenngleich die meisten von ihnen noch kaum mehr als Kinder waren, wie dieser Bursche, der jetzt unter der Tür verharrte und linkisch von einem Fuß auf den anderen trat, unentschlossen, wie er auf Skars Schweigen reagieren sollte, Skars, des Halbgottes, der lebenden Legende, des Unbesiegbaren, des Satai schlechthin. Unentschlossen und auch ein bißchen ängstlich, wie es sich gehörte, wenn man einem Gott unter die Augen kam; einem Gott, der auch ein bißchen von einem Dämon an sich hatte. Aber vielleicht hatten das alle Götter. Skar schätzte den Burschen auf sechzehn Jahre, allerhöchstens siebzehn. Er war so groß wie er und fast so breitschultrig wie Del, aber sein Gesicht war das eines Knaben. Es würde noch lange dauern, ehe sich der erste Bart auf seinen Wangen zeigte. Skar wurde sich der Tatsache bewußt, daß er dastand und den Novizen anstarrte, was dem armen Burschen wahrscheinlich Höllenqualen bereitete. Er versuchte, sein Lächeln ein wenig freundlicher aussehen zu lassen, und trat von der Brüstung zurück. Der Wind drehte sich ein wenig und wehte eine schwarze, fettige Qualmwolke über die Zinnen, die ihn für Momente einhüllte wie ein Mantel aus geronnener Nacht. Skar fühlte sich leicht angeekelt, als er die Berührung des schwarzen Qualmes wie die einer klebrigen Hand auf der Haut spürte. Aber auf dem Gesicht des jungen Satai spiegelten sich ganz andere Empfindungen, und Skar begriff, wie der Anblick auf ihn wirken mußte.
    Ein Sandkorn mehr, um das Gebirge aus Legenden und Furcht, auf das sie ihn gestellt hatten, noch höher zu machen.
Ihr Götter,
dachte er,
was ist aus Enwor geworden? Was geschieht mit uns?
Laut sagte er: »Bitte?«
    Der Junge fuhr zusammen wie unter einem Hieb. Von einer Sekunde auf die andere war er nervös, als wäre sein Schweigen eine letzte Barriere gewesen, hinter der er sich verkrochen hatte, um nicht durch Skars bloßes Dasein zu verbrennen. »Er... er will Euch sprechen, Herr«, stotterte er.
    »Del?«
    »Der Hohe Satai?« Der

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