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Enwor 7 - Das schweigende Netz

Enwor 7 - Das schweigende Netz

Titel: Enwor 7 - Das schweigende Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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M anchmal hatte er das Gefühl, ihn zu sehen. Er wußte, daß es nicht wahr war; bloß eine Illusion, mit der ihn ein Teil seines Bewußtseins terrorisierte, seit er hierhergekommen war, und vielleicht schon länger, aber manchmal war das Gefühl übermächtig. Er hatte etwas falsch gemacht; etwas übersehen, etwas vergessen, etwas falsch gedeutet — irgend etwas, von dem er nicht wußte, was es war, das ihn aber quälte; wie ein nicht näher lokalisierbarer Schmerz immer da war, gleich, ob er wachte oder schlief. Und der
Daij-Djan
war gekommen, um ihn an diesen Fehler zu erinnern. Selbst jetzt brauchte er nur die Augen halb zu schließen und sich vollkommen zu entspannen, bis seine Sehschärfe nachließ, um ihn wahrnehmen zu können: eine winzige, schlanke Gestalt von der Farbe der Nacht, die auf der anderen Seite des Flusses auf einem Felsen stand und ihm zuzuwinken schien. Er war nicht
wirklich
da — Skar hätte ihn nicht einmal sehen können, hätte er dort gestanden, denn jener Felsen war viel zu weit entfernt, um mehr als ein vereistes Funkeln im Sternenlicht zu sein, aber ein Teil von ihm sorgte dafür, daß er die Schimäre sah, immer und immer und immer wieder. Manchmal hörte er auch seine Stimme:
All diese Toten,
    Satai. All diese ausgelöschten Leben. Und du hast noch nicht einmal richtig begonnen. Willst du die ganze Welt ausrotten?
    Er verscheuchte den Gedanken, beugte sich ein wenig über die Brüstung und zwang sich, den Felsen auf der anderen Seite des Flusses als das zu sehen, was er war: ein mannshoher Steinklotz, den der Winter mit einem Eispanzer umhüllt hatte, und
mehr nicht!
und blickte dann nach links. Die Feuer brannten noch immer, und selbst über große Entfernung — es mußte eine Meile sein oder mehr — war ihr Licht so grell, daß es in den Augen schmerzte.
    Dels Satai hatten die letzten Toten aus der Burg geschafft, hinunter auf den großen Platz am Ufer des Flusses, wo sie verbrannt wurden. Die Scheiterhaufen brannten seit zwei Tagen, und sie würden weitere zwei — mindestens zwei, wenn nicht mehr — Tage brennen, ehe die letzten Spuren der Schlacht getilgt waren. Vor einer Stunde, genau mit dem Untergang der Sonne, hatte der Wind gedreht, und die Böen trugen den fettigen schwarzen Qualm jetzt nicht mehr hinaus in die Ebene, sondern direkt hierher, hinauf zu den Zinnen von Drasks Trutzburg, wo er wie übelriechender Nebel durch jede Spalte und jeden Ritz kroch und das Atmen zur Qual werden ließ. Der Gestank war entsetzlich, und auf allem, was dieser schreckliche schwarze Qualm berührte, hinterließ er eine unsichtbare, fettige Schicht, die einem das Gefühl gab, durch flüssigen Leim zu waten. Alles schien klebrig zu sein, und auf eine unangenehme Art warm. Die Rache der Toten, dachte Skar, die ihren Mördern nicht als Gespenster im Schlaf erschienen, sondern als übelriechender Qualm, der ihnen den Geschmack an jedem Essen und jedem Schluck Wasser vergällte. Und hier im Freien war es besonders schlimm.
    Trotzdem war Skar hier oben geblieben. Mit dem Abend war es — absurd genug — spürbar wärmer geworden, und manchmal trug der Wind außer Gestank und Qualm und dem unablässigen Prasseln des Feuers auch ein schweres, dumpfes Splittern und Knirschen mit sich. Die dichten Rauchwolken über der Burg nahmen Skar die Sicht auf den Fluß, aber er wußte, was diese Laute bedeuteten: Die mächtigen Schollen, die zwei Drittel der Fahrrinne noch immer blockiert hatten und an denen ihr ganzer Angriff um ein Haar gescheitert wäre, zerbrachen jetzt endgültig unter den Hammerschlägen des Frühlings.
    In einer, längstens zwei Wochen war der Fluß eisfrei. Das neue Jahr stieß das Tor nach Osten für sie auf.
    Er dachte diesen Gedanken völlig kalt. Er spürte keine Erleichterung, keine Zufriedenheit, keine Furcht — all dies hätte er fühlen sollen, denn eine schnelle Verbindung nach Osten war Grundvoraussetzung für das Gelingen ihres Invasionsplanes —, aber sie bedeutete auch, daß er in wenig mehr als zwei Wochen an der Spitze von Dels Heer in eine apokalyptische Schlacht ziehen würde, von der keiner von ihnen wußte, ob er sie überlebte. Aber er empfand gar nichts.
    Wie so oft in letzter Zeit.
    Manchmal — und diese Momente häuften sich — fragte er sich allen Ernstes, ob etwas in ihm gestorben war, als Bradburn das
Sai-Tan
vorgenommen hatte. Er hatte geglaubt, etwas bekommen — etwas
zurückgewonnen —
zu haben, aber vielleicht stimmte das gar nicht.

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