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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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sie an. Die Häuser waren sauber gestrichen, in unterschiedlichen Farben, die mich mitunter an Zuckerwerk in meiner Jugend erinnerten. Ich bekenne, mir wurde ein wenig schwindelig. Mein Blick suchte nach Vertrautem, ich sah eine schäbige Parkbank auf einem Grünstreifen jenseits der Fahrbahn, ich machte einige wenige Schritte, und ich schäme mich nicht zu sagen, dass sie womöglich etwas unsicher gewirkt haben können. Ich hörte ein Läuten, das Bremsen von Gummi auf Asphalt, und dann schrie mich jemand an.
    »Sachma, geht’s noch, Alter! Biste blind?«
    »Ich – ich bitte um Entschuldigung …«, hörte ich mich sagen, erschrocken und erleichtert zugleich. Neben mir stand ein Radfahrer, wenigstens dieser Anblick war mir vergleichsweise vertraut, doppelt zumal. Wir hatten nach wie vor Krieg, er trug zum Schutze einen von vorherigen Angriffen wohl stark beschädigten, eigentlich völlig durchlöcherten Helm.
    »Wie läufst’n du überhaupt rum!«
    »Ich – Verzeihung – ich … ich muss mich hinsetzen.«
    »Du solltest dich eher mal hinlegen. Und zwar für länger!«
    Ich rettete mich auf die Parkbank, ich werde wohl etwas blass gewesen sein, als ich mich darauf fallen ließ. Auch dieser jüngere Mann schien mich nicht erkannt zu haben. Es gab hier schon wieder keinen Deutschen Gruß, die Reaktion sah aus, als habe er nur fast einen x-beliebigen, herkömmlichen Passanten gerammt. Und dieser Schlendrian schien die allseits geübte Praxis zu sein: Ein älterer Herr ging an mir vorbei, kopfschüttelnd, eine voluminöse Dame mit einem futuristischen Kinderwagen – ein weiteres vertrautes Element, doch auch dies vermochte meine desperate Lage nicht auswegreicher zu gestalten. Ich hatte mich erhoben, war mit um Festigkeit bemühter Haltung an sie herangetreten.
    »Verzeihung, es mag Sie überraschen, aber ich … benötige sofort den kürzesten Weg zur Reichskanzlei.«
    »Sind Sie vom Stefan Raab?«
    »Bitte?«
    »Oder der Kerkeling? Einer von Harald Schmidt?«
    Es mag an meiner Nervosität gelegen haben, dass ich etwas ungehalten wurde und sie am Arm packte.
    »Reißen Sie sich zusammen, Frau! Sie haben Pflichten als Volksgenossin! Wir sind im Krieg! Was glauben Sie, was der Russe mit Ihnen macht, wenn er hierherkommt? Glauben Sie, der Russe wirft einen Blick auf Ihr Kind und sagt, oho, ein frisches deutsches Mädel, aber dem Kinde zuliebe will ich meine niederen Instinkte in meiner Hose lassen? Das Fortbestehen des Deutschen Volkes, die Reinheit des Blutes, das Überleben der Menschheit steht in diesen Stunden, diesen Tagen auf dem Spiel, wollen Sie vor der Geschichte das Ende der Zivilisation verantworten, nur weil Sie in Ihrer unglaublichen Beschränktheit nicht willens sind, dem Führer des Deutschen Reiches den Weg in seine Reichskanzlei zu weisen?«
    Es überraschte mich beinahe nicht mehr, dass ich darauf keinerlei Reaktion erntete. Die Idiotin riss ihren Ärmel aus meiner Hand, sah mich entgeistert an und führte mit ihrer flachen Hand mehrere kreisförmige Bewegungen zwischen ihrem und meinem Kopf aus, eine deutlich missbilligende Geste. Es war nicht mehr zu bestreiten, irgendetwas war hier völlig außer Kontrolle geraten. Ich wurde nicht mehr wie ein Heerführer behandelt, wie ein Reichsführer. Die Fußballbuben, der ältere Herr, der Radfahrer, die Kinderwagenfrau – es konnte kein Zufall sein. Mein nächster Impuls war, die Sicherheitsorgane zu benachrichtigen, um die Ordnung wiederherstellen zu lassen. Doch ich zügelte mich. Ich wusste nicht genug über meine Situation. Ich brauchte mehr Informationen.
    Eiskalt rekapitulierte mein jetzt wieder methodisch arbeitender Verstand die Sachlage. Ich war in Deutschland, ich war in Berlin, auch wenn es mir völlig unvertraut vorkam. Dieses Deutschland war anders, aber in einigen Dingen ähnelte es dem mir vertrauten Reich: Es gab noch Radfahrer, es gab Automobile, es gab also vermutlich auch Zeitungen. Ich sah mich um. In der Tat lag unter meiner Bank etwas, was einer Zeitung ähnelte, allerdings ein wenig zu aufwendig gedruckt. Das Blatt war farbig, mir vollkommen unvertraut, es hieß »Media Markt«, ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, etwas Derartiges genehmigt zu haben, und ich hätte es auch nie genehmigt. Die Informationen darin waren völlig unverständlich, Groll stieg in mir hoch, wie man in Zeiten der Papierknappheit mit so einem hirnlosen Dreck wertvolle Ressourcen des Volkseigentums unwiederbringlich verschleudern konnte.

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