Er lockte mit dem Jenseits
Es war schlichtweg verrückt und völlig abnorm gewesen, als man ihr diesen Vorschlag unterbreitet hatte, aber sie hatte zugestimmt. Es mochte an der ganzen Atmosphäre damals gelegen haben, auch am genossenen Alkohol, jedenfalls hatte sie sich auf das Spiel eingelassen und später erfahren, dass es kein Spiel war.
Es war ernst. Das Jenseits lockte. Es hielt seine Türen offen, auch für Barbara Evans.
Sie hatte daran gedacht, sich helfen zu lassen. Aber wer sollte das tun? An wen hätte sie sich wenden können? Man hätte sie doch nur ausgelacht, sie als Spinnerin oder Verrückte abgetan. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Sie hatte allein zugestimmt, und sie würde es auch allein durchstehen. Und zwar bis zum bitteren Ende.
Als ihr dieser Gedanke kam, musste sie lachen, und das Geräusch holte sie wieder zurück in die Realität. Sie wurde sich jetzt bewusst, wo sie lag. In ihrem Schlafzimmer, das zu der kleinen Wohnung unter dem Dach gehörte. Es war ein kleiner Raum mit schrägen Wänden und einem Fenster, das als Gaube vorgebaut war. So lag die Scheibe nicht schräg wie das Dach und bot durch ihre Lage zudem einen besseren Durchblick. Barbara vermochte, wenn sie vor dem Fenster stand, über andere Dächer hinwegzuschauen, die alle recht flach waren. Dafür gab es dort Gitter und Kamine. Manchmal bildeten die Dächer regelrecht Irrgärten.
Es war nicht völlig dunkel im Raum. Hochsommer. Und wie! Besonders über den Süden Englands hatte sich eine Hitzeglocke ausgebreitet, unter der die Menschen litten. Und wer unter dem Dach wohnte, der hatte noch stärker zu leiden. Obwohl sie das Fenster geöffnet hatte, drang kaum kühlere Luft in das Zimmer. Es war ja nicht nur die Wärme, die Probleme bereitete, an diesem Tag kam noch die Schwüle hinzu, die wie ein gewaltiger Druck über allem lag.
Der Juli brachte die langen Tage und die kurzen Nächte. Es dauerte immer sehr lange, bis die Nacht den Kampf gewonnen hatte, und auch jetzt war es noch nicht richtig dunkel. Über den Dächern lag der graue Schleier, in dem sich nicht eine Wolke abmalte.
Wenn sie den Kopf nach links drehte, schaute sie gegen das Fenster. Bewegte sie ihn zur anderen Seite, fiel ihr Blick gegen den Nachttisch, auf dem das Fleischermesser lag.
Sie hatte es sich irgendwann einmal gekauft und es nicht einmal benutzt, jetzt diente es ihr als Sicherheit, als Beruhigung, aber daran konnte sie nicht so recht glauben. In der Theorie sah immer alles anders aus als in der Praxis. Die Klinge des Messers gab einen schwachen Glanz ab.
Wenn er kam, um sie zu holen, würde sie sich wehren, das hatte sich Barbara fest vorgenommen.
Wieder überschwemmten sie die Vorwürfe. Was war sie nur für eine Idiotin, dass sie auf diesen Vorschlag eingegangen war. Sie hatte es für einen Spaß gehalten, für einen Party-Gag, aber das stimmte nicht. Es war ernst gewesen und auch der Anruf, dass jemand kommen würde, um sie zu holen, konnte bei aller Liebe nicht als Gag aufgefasst werden.
Deshalb auch das Messer!
Wie sah der Tod aus?
Für sie war er stets abstrakt gewesen, und trotzdem besaß er viele Gesichter. Er konnte in Form von Naturgewalten kommen, von Flutwellen und anderen Katastrophen. Das würde hier nicht zu treffen. Sie würde auch nicht ihr Leben bei einem terroristischen Anschlag verlieren, nein, wenn das Versprechen eingehalten werden sollte, dann würde der Tod zu ihr auf eine ganz spezielle Art und Weise kommen.
Als Einzelperson, als Killer eben, der in ihre kleine Wohnung eindrang und sie tötete.
Das empfand sie als grauenvoll, und sie wollte nicht sterben. Zugleich spürte sie, dass sie nicht stark genug war, um sich gegen ihn zu wehren. Sie hatte auch mal an Flucht gedacht, aber den Gedanken wieder verworfen.
Und jetzt lag sie im Bett und wartete.
Es war ruhiger in der Stadt und auch in diesem Wohnviertel geworden. Wenn sie allerdings etwas hörte, dann klangen die Geräusche überlaut zu ihr. Da hörte sie die Musik, die Stimmen der Menschen, die draußen feierten, mal ein helles Lachen, aber das war auch alles, was sie hörte. Diese Laute waren nahe und trotzdem so fern, sodass ihr das Alleinsein immer deutlicher vor Augen geführt wurde.
Nicht mehr lange.
Der Tod würde kommen. Er hatte seinen Besuch bereits angekündigt. Per Telefon. Viel gesagt worden war nicht. Nur eben, dass er in dieser Nacht erscheinen würde, um sie zu holen, und er hatte mit einer menschlichen Stimme gesprochen.
Also war der Tod ein Mensch, ein Mörder,
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