Er sieht dich wenn du schläfst
einschaltete.
Der Himmlische Rat hatte ihn anscheinend mit bestimmten Fähigkeiten und Kräften ausgestattet, doch es blieb ihm überlassen, herauszufinden, wie weit sie reichten. Man würde es ihm
nicht gerade leicht machen.
Er lehnte sich zurück. Obwohl er nicht leibhaftig dort saß,
empfand er es doch als unbequem, sich zwischen die Kindersitze quetschen zu müssen. Ähnlich war es ihm ergangen, als er die
Frau am Geländer der Eislaufbahn angerempelt hatte.
Der Rest der siebenminütigen Heimfahrt verlief schweigend,
bis auf das Radio, aus dem besonders seichte Musik dudelte.
Marissa fiel ein, dass sie den Sender, der dieses Zeug spielte,
einmal in Daddys Auto eingestellt hatte. Er hatte gesagt: »Du
machst wohl Witze! Hab ich dir keinen Musikgeschmack beigebracht?«
»Das ist der Sender, den Roy hört!«, hatte Marissa triumphierend gebrüllt. Sie hatten beide gelacht.
»Wieso deine Mutter mich für ihn verlassen hat, werde ich nie
begreifen«, hatte Daddy sich gewundert.
So ist das also, dachte Sterling. Roy ist ihr Stiefvater. Aber
wo ist ihr Vater, und warum ist sie traurig und wütend, wenn sie,
so wie jetzt, an ihn denkt?
»Roy holt sie gerade ab. Sie sind jeden Moment hier, aber ich
glaube nicht, dass sie mit dir sprechen will, Billy. Ich habe ihr
erklärt, dass es nicht deine Schuld ist, wenn du und Nor eine Weile fortbleiben müsst, aber sie kauft es mir nicht ab.« Denise Ward
telefonierte von ihrem schnurlosen Telefon aus mit Marissas Vater, ihrem Exmann, und versuchte, ihre zweijährigen Zwillingsjungen davon abzuhalten, den Weihnachtsbaum umzureißen.
»Ich verstehe, aber es bringt mich schier um, dass…«
»Roy Junior, lass die Finger vom Lametta!«, unterbrach Denise ihn mit erhobener Stimme. »Robert, lass das Jesuskind in
Ruhe. Ich hab gesagt… Moment mal, Billy.«
Zweitausend Meilen entfernt hellte sich Billy Campbeils besorgte Miene einen Moment lang auf. Er hielt den Hörer hoch,
so dass seine Mutter, Nor Kelly, die Unterhaltung mitbekam.
Nun hob er die Augenbrauen. »Ich glaube, das Jesuskind ist
gerade durchs Zimmer geflogen«, flüsterte er.
»Tut mir Leid, Billy«, sagte Denise, wieder am Telefon.
»Weißt du, hier geht es gerade drunter und drüber. Die Krümelmonster sind total aufgedreht wegen Weihnachten. Ruf doch
einfach in einer Viertelstunde noch mal an, obwohl es reine
Zeitverschwendung sein wird. Marissa will einfach weder mit
dir noch mit Nor reden.«
»Denise, ich weiß, du hast alle Hände voll zu tun«, sagte Billy
Campbell mit ruhiger Stimme. »Du hast die Pakete bekommen,
die wir geschickt haben, aber gibt es irgendetwas, das Marissa
wirklich braucht? Vielleicht hat sie etwas Besonderes erwähnt,
das ich ihr noch besorgen könnte.«
Es krachte im Hintergrund, und ein Zweijähriger fing an zu
heulen.
»Ach du meine Güte, der Waterford-Engel.« Denise Ward
schluchzte beinahe. »Bleib da weg, Robert. Hörst du? Du
schneidest dir in die Finger!« Wutschnaubend fuhr sie Billy an:
»Du willst wissen, was Marissa braucht, Billy? Sie braucht dich
und Nor, und sie braucht euch beide bald. Ich mach mir tierisch
Sorgen um sie. Roy auch. Er reißt sich für sie die Beine aus,
aber sie reagiert einfach nicht.«
»Was glaubst du denn, wie ich mich fühle, Denise?«, fragte
Billy, jetzt etwas lauter. »Ich würde meinen rechten Arm hergeben, um bei Marissa zu sein. Jeder Tag, an dem ich nicht mit ihr
zusammen bin, zerreißt mir das Herz. Ich bin dankbar, dass Roy
für sie da ist, aber sie ist mein Kind und sie fehlt mir.«
»Dabei fällt mir gerade ein, was für ein Glück ich hatte, einen
zuverlässigen Mann kennen gelernt zu haben, der einen netten,
beständigen Job hat, der nicht nächtelang wegbleibt und in einer
Rockband spielt und sich nicht in solche Situationen bringt, dass
er aus der Stadt verduften muss.« Denise holte kaum Luft. »Marissa leidet. Hast du das kapiert, Billy? In vier Tagen hat sie Geburtstag. Heiligabend. Ich weiß nicht, wie es ihr geht, wenn du
nicht da bist. Das Kind fühlt sich im Stich gelassen.«
Nor Kelly sah den Schmerz auf dem Gesicht ihres Sohnes, als
er sich die Hand auf die Stirn legte. Ihre Exschwiegertochter war
eine gute Mutter, doch sie war bald am Ende ihrer Kräfte aus
Frust über die Situation. Sie sollten Marissa zuliebe zurückkehren, doch wenn sie es täten, wäre sie außer sich vor Sorge, dass
Marissa in Gefahr sein könnte.
»Also, Billy, ich sag ihr, dass du angerufen hast. Ich muss
jetzt
Weitere Kostenlose Bücher