Er sieht dich wenn du schläfst
wollen, und sie können erst wieder zurückkommen, wenn es sicher ist, aber in der Schule sagen die Kinder, sie glauben, Daddy
und NorNor sind in Schwierigkeiten geraten und weggelaufen.«
Was ist wohl der wahre Grund?, fragte sich Sterling. »Wann
hast du sie denn zum letzten Mal gesehen?«
»Letztes Jahr, zwei Tage nach Weihnachten habe ich sie richtig gesehen. Daddy und ich sind Schlittschuh laufen gegangen.
Dann sind wir zum Mittagessen ins Restaurant von NorNor gefahren. Wir wollten am Silvestermorgen in die Radio City Music Hall gehen, aber er und NorNor mussten weg. Sie stürmten
rein, als ich noch gar nicht richtig wach war, und verabschiedeten sich. Sie haben mir nicht gesagt, wann sie zurückkommen,
und das ist jetzt fast ein Jahr her.« Sie überlegte kurz. »Ich muss
Daddy sehen, ich muss NorNor sehen.«
Sie ist todunglücklich, dachte Sterling. Er kannte diese Art
Herzschmerz. Es war wie das Verlangen, das ihn überkommen
hatte, als er Annie am Fenster vorbei in den Himmel hatte
schweben sehen.
»Marissa…« Es klopfte an der Tür.
»Oh, ich hab es gewusst«, sagte Marissa. »Mom wird dafür
sorgen, dass ich zum Abendessen runterkomme. Ich habe keinen
Hunger, und ich will nicht, dass du weggehst.«
»Marissa, ich muss an deinem Problem arbeiten. Ich komme
wieder und sage dir gute Nacht.«
»Versprochen?«
»Marissa.« Wieder klopfte es an der Tür.
»Ja, aber du musst mir auch etwas versprechen«, sagte Sterling hastig. »Deine Mom macht sich große Sorgen um dich. Gib
ihr eine Chance.«
»Okay. Sogar Roy werde ich eine Chance geben, und Hühnchen esse ich sowieso ganz gern. Mom, ich komme!«, rief sie.
Sie drehte sich zu Sterling um, hob ihre Hand und wartete, dass
er dagegen schlug.
»Was soll das denn?«, fragte Sterling.
Marissa konnte es nicht glauben. »Du musst ganz schön alt
sein. Jeder weiß doch, was damit gemeint ist.«
»Ich bin nicht auf dem Laufenden«, gab Sterling zu. Dann
folgte er ihrem Beispiel und streckte ihr die offene Hand hin,
gegen die Marissa schwungvoll klatschte.
Frühreif, dachte er und lächelte. »Bis später«, flüsterte er.
»Klasse. Vergiss deinen Hut nicht. Ich will ja nicht gemein
sein, aber der sieht wirklich blöd aus.«
»Marissa, das Essen wird kalt«, rief ihre Mutter.
»Das Essen ist immer kalt«, flüsterte Marissa Sterling zu, der
sie zur Tür begleitete. »Roy braucht ewig, bis er das Tischgebet
gesprochen hat. Daddy sagt, Mommy sollte lieber bei Aufschnitt
bleiben.«
Sie legte die Hand an den Türknauf. »Mommy kann dich
nicht sehen, oder?«
Sterling schüttelte den Kopf und verschwand.
D
er Ausschuss im himmlischen
Konferenzraum hatte Sterlings Unternehmungen mit Interesse
verfolgt. »Er hat sofort Kontakt aufgenommen. Hat die alte Birne benutzt, würde ich meinen«, sagte der Admiral anerkennend.
»Die Kleine ist so unglücklich«, sagte die Nonne leise.
»Und nicht zu knapp«, teilte der Mönch seine Beobachtung
mit. »Dennoch muss ich sagen, dass es zu meiner Zeit anders
war. Sterling ist im Begriff, um Rücksprache mit uns zu bitten.
Ich denke, wir sollten sie ihm gewähren.«
»So soll es sein«, lautete das einstimmige Votum.
Sterling hatte sich vor dem leise rieselnden Schnee unter dem
überhängenden Dach von Marissas Haus in Sicherheit gebracht.
Er war tief in Gedanken versunken. Ich könnte mich in der Stadt
umsehen und versuchen, etwas über ihren Vater und ihre Großmutter herauszubekommen, dachte er, doch es gibt einen einfacheren Weg, sich einen Überblick zu verschaffen, für den ich
den Rat um Erlaubnis bitten müsste.
Er schloss die Augen. Noch ehe er Zeit hatte, die Bitte vorzubringen, fand er sich bereits im Konferenzraum wieder. Erleichtert las er von ihren Gesichtern ab, dass seine heiligen Mentoren
ihm anscheinend mit vorsichtigem Wohlwollen begegneten.
»Wie ich sehe, haben Sie versucht, eine alte Frau in Not zu
finden.« Der Admiral lachte in sich hinein. »Der junge Mann,
der Ihnen zuvorgekommen, hat ja eine schöne Überraschung
erlebt. Die Alte war ziemlich kratzbürstig, würd ich sagen.«
»Wenigstens hat Sterling keine Minute verloren, als er auf die
Erde kam«, meinte die Krankenschwester anerkennend.
Sterling brannten die Wangen, als er das Lob vernahm. »Danke, vielen Dank. Sie werden verstehen, dass ich auch jetzt keine
Minute verlieren will. Ich glaube, ich kann Marissa am besten
helfen, wenn ich die Ursache ihres Problems kenne.
Marissas Vater und Großmutter hatten vor, sie am
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