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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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ihm und dieser unbekannten Frau, die sich dann heftig abwandte, zurück blieben die fröhlichen Blumen, die sie ins Schaufenster gestellt hatte. Eine Hundenärrin, dachte Jensen.
    Er hätte seine Blumen nun lieber woanders gekauft, aber für die Suche nach einem anderen Geschäft fehlte ihm die Zeit, und ohne Blumen wollte er seiner Schwester Franziska nicht nach fünfunddreißig Jahren zum ersten Mal wieder begegnen.
    Bevor er das Geschäft betrat, warf er alle Schuld ab. Es war nur ein Schubser gewesen, der niemanden etwas anging.
    Die Verkäuferin überhörte die Türglocke, die Jensen ankündigte. Sie kappte mit einem kurzen Messer Blumenstiele und war ganz darin versunken. Auf ihrer dunklen, wattierten Winterjacke lag rotes Haar. Jensen sagte, er brauche Blumen für eine Beerdigung. Auch das war in der Welt der Verkäuferin nicht zu hören. Sie blickte ihn nicht an, angestrengt schnitt sie kleine Stücke von den Stielen, und er sah, dass ihre Hände zitterten. Er schätzte sie auf Ende dreißig.
    »Für eine Beerdigung«, wiederholte er.
    »Für wen sind die Blumen?«, fragte sie mit Blick auf ihr Messer. Ihre Stimme klang, als hätte sie lange nicht mehr gesprochen.
    »Für meine Schwester«, sagte er, obwohl er die Frage für zu intim hielt. Was ging es die Verkäuferin an, wer gestorben war.
    »Welches waren ihre Lieblingsblumen?«
    »Ist das wichtig?«, fragte er. Es ging sie auch nichts an, dass er es nicht wusste.
    »Sie wissen es also nicht«, sagte sie. Sie legte das Messer ab, die Blumen, und dann schien es, als hole sie Atem wie vor einem Geständnis. Sie verschränkte die Arme, und plötzlich hob sie den Blick und schaute Jensen in die Augen. Es war ein persönlicher Blick voller Geflüster und Angst. Er verstand den Blick nicht, aber er spürte, dass es um etwas Ernstes ging. Er wusste nicht, um was, aber es war ernst. Etwas schien die Verkäuferin zu treffen, sie schloss irritiert die Augen, ihr Gesicht bekam einen leidenden Zug. Sie atmete tief ein und sagte: »Wissen Sie wenigstens, welche Blumen Ihre Schwester überhaupt nicht mochte?«
    »Nein.«
    »Dann spielt es keine Rolle. Dann kann es irgendetwas sein. Es hat überhaupt keine Bedeutung.«
    »Ja«, sagte er.
    Er sah ihr zu, wie sie Blumen aus Vasen zerrte. Sie ging respektlos mit ihnen um, ein Blütenblatt schwebte auf den Boden. Sie riss und presste, es war möglicherweise eine Vergeltung für den Schubser, sie behandelte die Blumen so wie er seinen Hund, zur Mahnung. Oder aber es war nicht ihr Tag. Oder es ging um etwas ganz anderes.
    Der Strauß wurde zu bunt.
    »Es ist für eine Beerdigung«, sagte Jensen.
    Die Verkäuferin schwitzte. Sie griff mit der Hand nach mehreren Blumen und quetschte sie in den Strauß.
    »Sechzig Euro«, sagte sie.
    »Ich wollte damit sagen, dass der Strauß nicht zu bunt werden sollte.«
    »Ach ja? Vielleicht mochte Ihre Schwester bunte Sträuße.« Sie zerrte ein paar weiße Blumen dazu.
    »Achtzig Euro«, sagte sie.
    Der Strauß lagerte auf ihrem linken Arm. Sie fügte ihm ein paar dünne Zierzweige hinzu, in ihrer Fahrigkeit stieß sie dabei eine Vase um. Die Scherben verteilten sich mit einem schönen Geräusch auf dem Boden. Die Verkäuferin blutete plötzlich, ein Schnitt scheinbar aus dem Nichts. Das Blut zeichnete zwei Streifen auf ihre Hand.
    »Das sollten Sie desinfizieren«, sagte Jensen.
    »Das ist nichts«, sagte sie.
    »Es ist ein ziemlich tiefer Schnitt.«
    »Das ist nichts!«, sagte sie heftig. Sie drückte ihm den Strauß in die Hand.
    »Wissen Sie was?«, sagte sie. »Nehmen Sie sich so viele Blumen, wie Sie wollen. Und dann gehen Sie.«
    Sie verschwand hinter einem grauen Vorhang, eine Spur aus Blutstropfen hinterlassend.
    Das Blut ging Jensen zu Herzen. Wenn es aber vergossen worden war wegen des Hundes, war es sinnlos vergossenes Blut. Der Hund war geschubst und nicht mit einem Hammer geschlagen worden. Eine überspannte Tierliebhaberin. Vielleicht. Sie hatte andererseits nicht diesen Eindruck erweckt. In ihrem Blick lag die Kraft eines Menschen, der auf die Zuneigung von Tieren nicht angewiesen war. Und das Entsetzen über etwas weitaus Schlimmeres als den Tritt in eine Hundeflanke.
    Jensen achtete darauf, nicht in ihre Blutstropfen zu treten, als er zur Kasse ging. Er legte einen Geldschein hin, und bevor er mit dem schweren Strauß das Geschäft verließ, drehte er sich noch einmal nach dem grauen Vorhang um, hinter dem die Verkäuferin in seiner Vorstellung das Blut von ihrer Hand

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