Er
jemand, der die ganze Nacht lang im Schlaf spricht und sich von einer Seite auf die andere wälzt. Hoffnung gab es nicht, denn in Edinburgh wartete ein Flugzeug auf ihn. Angus war noch nie in seinem Leben geflogen, seine Schafe hatten das nie verlangt. Niemand in seiner Familie war je geflogen, beide Großväter hatten in der Infanterie gedient. Angus’ Vater hatte jedes Mal, wenn sie im Radio von Flugzeugen sprachen, den Finger gehoben: »Wenn Gott gewollt hätte, dass der Mensch fliegen kann …« Den Rest des Satzes war er der Familie bis zu seinem Tod schuldig geblieben. Ein Morrison flog einfach nicht, das war wohl die Botschaft.
Angus kam das Meer vor wie er selber. In der Ferne erhob sich der Rücken einer kleinen Insel, deren Namen er nicht kannte. Der kalte Wind trieb ihm Tränen in die Augen.
Es wurde plötzlich still in ihm.
Er hatte viel nachgedacht in der letzten halben Stunde, über das Meer, über das Reihern, über das Fliegen, über Sean, aber das war alles Beiwerk. Hier ging es um mehr. Er war unterwegs, um Lea zu sehen. Das verdammte Foto. Aber auch darum ging es nicht. Er hatte Angst. Er umklammerte mit beiden Händen die Reling, er hielt die Fähre fest. Man konnte sehr lange über vieles nachdenken, es war wie Pfeifen im Keller. Beim Torfstechen war es oft lange Zeit, als würde man mit einem heißen Messer Butter schneiden. Aber plötzlich stieß man auf etwas Hartes, man spürte durch den Schaft der Schaufel den Widerstand. Da war etwas im Torf, das nicht dort hingehörte. Es war besser, man schaute es sich an. In seinem Fall war es die Angst.
Sie weiß es nicht, dachte Angus. Er wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht trocken. Er brauchte sich gar keine Sorgen zu machen. Sie wusste nicht, was Craig ihm auf Sula Sgeir gesagt hatte. Wenn sie es wüsste, dachte er, würde sie nicht so mit ihrem Vater umspringen. Seit eineinhalb Jahren sagte Angus sich das. Wenn man beim Torfstechen auf etwas Hartes stieß, dachte man natürlich immer zuerst an einen Stein. Aber manchmal irrte man sich, und es war zum Beispiel eine Schaufel, die ein Torfstecher vor hundert Jahren liegen gelassen hatte. Und hier ging es nicht darum, dass Lea nicht wusste, was Craig gesagt hatte. Es geht darum, dachte er, dass du es weißt. Du weißt es. Und damit musste er jetzt leben. Und leben hieß, sich nichts antun. Ich werde mir nichts antun, dachte Angus, und weil er sich in dieser Angelegenheit misstraute, sagte er es laut, er wollte die Worte hören.
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4
E INEN SOLCHEN ÜBERTOPF KONNTE man nicht draußen auf dem Gehsteig stehen lassen. Er war zu kostbar, schweres, violettes Glas, eine gediegene Handarbeit, für den Hund war ihr offenbar nur Kunsthandwerk gut genug. Jensen schüttete das restliche Wasser weg, auf dem sich bereits ein Eiskrüstchen gebildet hatte. Jensen trug den Topf auf die Toilette eines italienischen Restaurants, das sich neben dem Blumengeschäft befand, und im Spiegel überprüfte er sein Aussehen. Seine Frisur schien ihm etwas zu brav, er kämmte seine Haare mit den Fingern, um mehr Wildheit hineinzubringen. Er war eine grauhaarige Eminenz, aber ohne Bauchansatz, man klopfte hier auf Stahl. Er leckte sich über die Lippen, die man auch auf der Kinoleinwand hätte zeigen können, wie er fand. Ganz besonders überzeugt war er von seinen großen Augen, in die er manchmal selbstverliebt blickte. Er wollte der Verkäuferin gefallen und fand das merkwürdig. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er gut oder jedenfalls so aussah wie immer, brachte er der Verkäuferin den Übertopf zurück.
Sie stand, als er das Geschäft betrat, auf einer Klappleiter, in herrischer Art, wie eine tatarische Reiterin oder was er sich darunter vorstellte. Irgendwie russisch jedenfalls, sinnlich, aber mit Dreck an den Stiefeln.
»Ich nehme an, der gehört Ihnen«, sagte er.
»Stellen Sie ihn dorthin«, sagte sie, und er stellte den Übertopf neben die Kasse. »Sie haben Ihren Hund zwei Stunden lang in der Kälte allein gelassen.«
Sie schraubte mit Handschuhen die defekte Glühbirne aus der Fassung.
»Und ohne Wasser«, fügte sie hinzu. Sie hielt ihm die Glühbirne hin. Jensen musste sich strecken, um hinzugelangen.
»Vorsicht«, sagte sie. Aber er hatte sich die Finger schon verbrannt. Er ließ das glühende Ding fallen, es zerplatzte.
»Macht nichts«, sagte sie. »Da auf dem Tisch liegt die neue. Wenn Sie sie mir bitte geben würden.«
Als er ihr die Glühbirne gab, berührten sich ihre Finger, und
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