Erfindergeist
letzten Tagen bei Jacques waren, ist Ihnen da etwas aufgefallen?«
Der Student überlegte kurz, bevor er langsam seinen Kopf schüttelte. »Nein, er verhielt sich ganz normal. Aber Sie wissen ja, dass ich ihn nicht lange kannte. Er hat häufig betont, dass ihm unsere Aktion in der Waldfesthalle sehr gut gefallen hat und er sich dabei so richtig jung gefühlt hat. Dabei erwähnte er auch, dass er hoffe, noch mehr solche Abenteuer erleben zu dürfen.«
»Ja, ja, das glaube ich gerne. Unser Jacques lebte hier relativ einsam. Vor allem, seit seine Frau gestorben ist.«
Gerhard, der sich währenddessen mit einem Feuerwehrmann unterhalten hatte, mischte sich in unser Gespräch ein: »Reiner, es dürfte das Beste sein, wenn du jetzt heimgehst. Du hast Urlaub. Wir kriegen das hin. Morgen früh kommt der Bericht von Hingstenberg, danach rufe ich dich gleich an, in Ordnung?«
Ich musste meinem Kollegen beipflichten. Immerhin war er während meines Urlaubs der zuständige Chef. Da fiel mir eine weitere Frage ein: »Ist der Elektrofuzzi von der Verwaltung noch da?«
Gerhard bekam einen versteinerten Gesichtsausdruck. »Das kannst du singen, den bekommen wir so schnell nicht wieder los. Im Moment zählt er sämtliche Handys und Ladeschalen, die er in der Inspektion finden kann. Du kannst es dir nicht vorstellen, es ist die Hölle. Sei bloß froh, dass du nicht da bist.«
Puh, das nannte ich Glück. Das Präsidium in Ludwigshafen hatte uns wegen des ausufernden Stromverbrauchs unserer Dienststelle einen Prüfer geschickt, der vor Ort den Schuldigen ausfindig machen sollte. Dazu hatte man den unfähigsten Beamten weit und breit ausgewählt. Mit Ärmelschonern lief er bei uns in der Inspektion herum, nervte die Mitarbeiter und hielt alle von der Arbeit ab. Der Mann hatte nicht das geringste Verständnis für die tatsächlichen Abläufe in der Dienststelle. Bei seiner Suche nach dem Übeltäter, so hatte er sich ausgedrückt, musste ihm unser armer Hausmeister behilflich sein. Heribert Mertens, unsere gute Seele, war erst seit einem Jahr bei uns. Doch wenn das so weiter ging, war er es die längste Zeit gewesen. An meinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub hatte er den Stromverbrauch unseres Heißgetränkeautomaten messen müssen. Für jede Getränkesorte einzeln.
Ich verabschiedete mich von Gerhard und Dietmar Becker, blickte noch eine Weile sinnend auf den Schutthaufen, bevor ich zu meinem Wagen ging und heimfuhr.
Die Begrüßung zu Hause war, na ja, sagen wir mal, zwiespältig. Paul, mein Sohn, kam auf mich zugerannt, sprang an mir hoch und schrie in der hohen Stimmlage eines Zweitklässlers: »Papa, verdammt, mein Brüderchen ist immer noch nicht da!« Seine drei Jahre ältere Schwester bekam nur am Rande mit, dass ich zurück war. Sie saß auf dem Boden und sortierte ihre CD -Sammlung. Das Wiedersehen mit Stefanie hatte es dagegen in sich.
»Sag mal, Reiner, spinnst du? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wo warst du denn so lange? Hier in der Wohnung sieht es aus, als hättest du zwei Jahre lang allein gewohnt.« Ich bemerkte, dass sie den Tränen nah war. »Reiner, mach so etwas nie wieder. Ich hatte solche Angst um dich. Das Chaos im Wohnzimmer, die zerfetzte Zeitung, die Kissen auf dem Boden. Ich dachte, du hättest einen Herzinfarkt bekommen. Ich habe sämtliche Krankenhäuser in der Umgebung angerufen. Oh, Reiner, ich war so in Sorge.«
Ich umarmte meine Frau und setze mich mit ihr auf die Couch. Vorher schickte ich Paul in sein Zimmer. Nur murrend verzog er sich. Melanie war nirgendwo mehr zu sehen. Ich erzählte Stefanie, was ich gerade erlebt hatte. Zum Schluss heulten wir beide.
2. Das Opfer ist immer der Gärtner
Stefanie war ohne Zweifel genauso mitgenommen von Jacques’ Tod wie ich. Trotzdem dachte sie weiter. Wahrscheinlich können das in solchen Situationen nur Frauen. Sie stellte Überlegungen an, die mir noch gar nicht in den Sinn gekommen waren.
»Sag mal, Reiner, was passiert jetzt mit Jacques’ Haus und allem?«
»Was meinst du?«
»Mensch, stell dich nicht so blöd an. Wer erbt das Haus, und überhaupt, wer kümmert sich um die Beerdigung?«
»Ich denke, da dürfte nicht mehr viel für ein Begräbnis übrig geblieben sein.«
»Spinnst du?«, fuhr sie mich an. »Jacques hat es verdient, ehrenhaft bestattet zu werden. Es geht um das Andenken und nicht um eine mehr oder weniger vollständige Körperhülle.«
»Ja, natürlich, du hast recht. Ich werde mich darum kümmern. Das bin ich
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