Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Wut auslassen konnte. Ich schwieg und fing an zu weinen. Als der Großfürst sah, wie der ganze Zorn meiner Mutter mich traf, weil ich ein Zeugnis zu seinen Gunsten abgegeben, und daß ich weinte, klagte er meine Mutter der Ungerechtigkeit an und antwortete wütend auf ihre Zornesausbrüche. Sie ihrerseits sagte ihm, er sei ein schlecht erzogener kleiner Junge; kurz, man kann einen Zank kaum weiter treiben, ohne handgreiflich zu werden, was sie schließlich aber doch nicht taten. Seitdem war der Großfürst meiner Mutter gram, und nie vergaß er ihr diesen Streit. Meine Mutter ließ es gleichfalls an Bitterkeit ihm gegenüber nicht fehlen, und ihre Art, mit einander zu verkehren, zog fortwährend Unannehmlichkeiten, Mißtrauen und gereizte Stimmung nach sich. Selbst in meiner Gegenwart wußten sie dies nicht zu verbergen. Vergebens bemühte ich mich, sie zu besänftigen, was mir indes nur in ganz seltenen Augenblicken gelang, und dann auch nur auf kurze Zeit. Immer hatten sie Sarkasmen gegen einander zur Hand. Meine Lage wurde dadurch von Tag zu Tag peinlicher; der einen suchte ich zu gehorchen, dem andern zu gefallen. Wirklich öffnete mir der Großfürst damals sein Herz mehr als allen andern, denn er sah, daß meine Mutter häufig gegen mich losfuhr, wenn sie mit ihm nicht anbinden konnte. Natürlich schadete mir das in seinen Augen nicht, weil er sich meiner dadurch versichert hielt.
Zweites Kapitel.
Einzug in Kiew und Rückkehr nach Moskau. – Festlichkeiten. – Meine Schulden. – Meine finanzielle Lage – Die Feinde meiner Mutter. – Der Großfürst erkrankt an den Masern. – Reise nach Petersburg. – Geburtstagsfeier der Kaiserin in Twer. – Der Großfürst bekommt die Pocken. – Fürst Galitzin und Zacharias Czernitscheff. – Wir reisen miteinander nach Petersburg weiter. – Meine Beschäftigungen. – Graf Gyllenburg. – Schilderung meines eigenen Ichs. – Der Großfürst kehrt nach seiner Genesung nach Petersburg zurück. – Feier des siebzehnten Geburtstages Peters. – Die Kaiserin lobt meine Aussprache des Russischen. – Verdruß meiner Mutter. – Prinz August von Holstein, ihr Bruder. – Man gibt mir russische Kammerfrauen.
Am 29. August zogen wir endlich in Kiew ein. wir blieben zehn Tage dort und kehrten darauf nach Moskau, ganz und gar in derselben Weise wie wir gekommen waren, zurück.
In Moskau verging dann der ganze Herbst mit Theater, Ballett und Hofmaskeraden. Trotz aller Feste aber bemerkte man, daß die Kaiserin häufig verstimmt war. Eines Tages, als meine Mutter und ich mit dem Großfürsten in einer der kaiserlichen gegenüberliegenden Loge im Theater saßen, bemerkte ich, daß die Kaiserin sehr heftig und aufgebracht mit dem Grafen Lestocq sprach. Als sie zu Ende geredet, verließ Lestocq sie, kam in unsere Loge, näherte sich mir und sagte: »Haben Sie gesehen, wie die Kaiserin mit mir gesprochen hat?« Ich antwortete bejahend. »Nun,« fuhr er fort, »sie ist sehr böse auf Sie.« – »Auf mich? und weshalb?« erwiderte ich. »Weil Sie viel Schulden gemacht haben. Als sie Prinzessin gewesen, habe sie ebenfalls keine andere Einnahme gehabt und noch dazu für ein ganzes Haus sorgen müssen, doch sie habe sich gehütet, Schulden zu machen, weil sie gewußt, daß niemand dieselben für sie bezahlen werde.« Er sagte dies alles in einem ärgerlichen, trockenen Ton, wahrscheinlich, damit die Kaiserin aus ihrer Loge sehen sollte, wie er sich seines Auftrages entledigte. Die Tränen traten mir in die Augen, aber ich schwieg. Nachdem er ausgeredet, entfernte er sich. Der Großfürst, der neben mir saß und den größten Teil unserer Unterhaltung gehört hatte, fragte mich nach dem, was er nicht verstanden und gab mir dann mehr durch Mienen als durch Worte zu verstehen, daß er der Meinung seiner Frau Tante sei und es ganz recht finde, daß man mich gescholten habe. Dies entsprach durchaus seiner Art und Weise: er glaubte sich der Kaiserin angenehm zu machen, indem er auf ihre Ansichten einging, wenn sie jemand zürnte. Als meine Mutter hörte, um was es sich handele, erklärte sie, man habe ja alle möglichen Mittel angewandt, mich ihrer Autorität zu entziehen und mich in den Stand gesetzt, ohne ihren Rat zu handeln, so daß sie ihre Hände in Unschuld wasche. So nahmen sie beide gegen mich Partei.
Ich selbst wünschte nichts mehr, als meine Angelegenheiten sofort in Ordnung zu bringen und forderte am nächsten Tag meine Rechnungen. Aus diesen ersah ich, daß sich meine
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