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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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von unseren Vorfahren geerbt haben. Wenn Sie also nach jemandem mit guten Genen Ausschau halten, dann handeln Sie so, weil Sie dieses Verhalten geerbt haben; oder, um es prosaischer auszudrücken, Menschen fühlen sich zu Menschen mit hohem reproduktivem und genetischem Potential hingezogen – den Gesunden, Fähigen und Mächtigen. Die Konsequenzen aus dieser Tatsache, die als sexuelle Selektion bezeichnet wird, können, wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, im Extremfall grotesk sein.

Wir müssen uns fragen: »Warum?«
    Wenn man von der Funktion der Sexualität oder eines anderen menschlichen Verhaltens spricht, so ist das stark verkürzt formuliert. Ich denke in diesem Zusammenhang nicht an die teleologische Sinnsuche oder die Frage nach der Existenz eines höheren planenden Wesens, das ein bestimmtes Ziel vor Augen hat. Noch weniger gehe ich von einer Voraussicht oder einem Bewußtsein auf Seiten der Sexualität selbst oder der Menschheit aus. Ich beziehe mich lediglich auf die verblüffende Macht der Anpassung, die Charles Darwin so trefflich gewürdigt hat und die von vielen seiner modernen Kritiker so wenig verstanden wird. Denn ich muß mich an dieser Stelle dazu bekennen, ein Adaptionist zu sein – eine recht ungeschliffene Bezeichnung für jemanden, dessen Überzeugung es ist, daß Tiere und Pflanzen, ihre Körperteile und ihr Verhalten zum großen Teil dazu angelegt sind, bestimmte Probleme zu lösen. 9 Lassen Sie mich das erklären. Das menschliche Auge ist dazu »angelegt«, ein Bild der sichtbaren Welt auf der Netzhaut zusammenzusetzen; der menschliche Magen ist dazu »angelegt«, Nahrung zu verdauen; es ist widersinnig, solche Tatsachen zu leugnen. Die einzige Frage ist, auf welche Weise es dazu gekommen ist, daß diese Organe zu diesen Zwecken angelegt wurden. Und die einzige Antwort, die der Prüfung durch Zeit und kritische Betrachtungen standgehalten hat, lautet: Einen Planer gab es nicht. Moderne Menschen stammen vor allem von jenen Menschen ab, deren Augen und Mägen besser für die Bewältigung ihrer jeweiligen Aufgaben geeignet waren als die anderer Menschen. Kleine, zufällige Verbesserungen der Verdauungstätigkeit des Magens und der Sehfähigkeit des Auges wurden somit deshalb vererbt, weil diejenigen Menschen mit schlechter Verdauung und mangelhaftem Sehvermögen nicht lange genug lebten oder sich nicht erfolgreich fortgepflanzt haben.
    Menschen empfinden die Vorstellung von funktionsbezogener Planung als sehr anschaulich und haben kaum Schwierigkeiten, die Analogie zur Anlage des Auges zu begreifen. Die Vorstellung von »geplantem« Verhalten liegt für uns jedoch offenbar weit weniger nahe – hauptsächlich deshalb, weil wir davon ausgehen, daß zweckgerichtetes Verhalten ein Hinweis auf eine bewußte Entscheidung ist. Ein Beispiel mag verdeutlichen, was ich meine. Es gibt eine kleine Wespe, die ihre Eier in Gewächshausfliegen injiziert, in denen aus den Eiern neue Wespen heranwachsen, indem die Larven ihre Wirtsfliege von innen heraus auffressen. Traurig, aber wahr. Stellt eine dieser Wespen jedoch während der Eiablage fest, daß die betreffende Fliege bereits von einer anderen Wespe befallen ist, dann tut sie etwas bemerkenswert Intelligentes. Sie hält von dem Ei, das sie zu legen beabsichtigt, das Sperma zurück und legt ein unbefruchtetes Ei in die Wespenlarve im Inneren dieser Gewächshausfliege. (Es ist eine Besonderheit von Wespen und Ameisen, daß sich bei ihnen unbefruchtete Eier zu Männchen entwickeln, alle befruchteten Eier hingegen zu Weibchen.) Das »Intelligente« an dem Verhalten der Mutterwespe besteht darin, zu erkennen, daß in einer bereits befallenen Fliege weniger Nahrung zur Verfügung steht als in einem nichtbefallenen Wirt. Die Wespe, die aus dem Ei heranwächst, wird deshalb klein und kümmerlich sein. Bei dieser Spezies aber sind die Männchen klein und die Weibchen groß. Es ist deshalb »klug« von der Mutterwespe, sich dafür zu »entscheiden«, ihren Nachwuchs männlich werden zu lassen, wenn sie weiß, daß er ohnehin nicht groß werden kann.
    Natürlich ist das Unsinn. Sie ist nicht »klug«; sie »entscheidet« nichts, und sie »weiß« nicht, was sie tut. Sie ist nur eine winzigkleine Wespe mit einer Handvoll Hirnzellen und kann absolut nicht bewußt denken. Sie ist ein Automat, der die einfachen Anweisungen seines neuralen Programms ausführt: Falls Fliege befallen, Sperma zurückhalten. Ihr Programm ist über Millionen von Jahren durch

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