Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
Erklärung als unrichtig erweisen sollte. Mir ist eröffnet
worden, daß ich, falls ich durch unrichtige Angaben meine Vorgesetzten
täuschte, um mich der Erfüllung des Wehrdienstes zu entziehen, wegen Zersetzung
der Wehrkraft mit den höchsten Strafen, unter Umständen mit dem Tode bestraft
werden kann.
Mein Vater wird dies gelesen und zur Kenntnis genommen
haben, die Lippen aufeinandergepresst, und dann wird der Jurist in ihm versucht
haben, jene Gefühle, die in ihm hochstiegen, zu unterdrücken: die Angst, die
Wut, den Hass, die Hilflosigkeit, das Empfinden von zugeteilter
Minderwertigkeit und die Scham, das Opfer einer Weltanschauung geworden zu
sein, deren Fundamente so weit außerhalb jeden Rechtes stehen.
Und so wird mein Vater wohl gewusst haben, was er zu tun hat: Er
wird dieses Formular nicht ausfüllen. Bestätigt bekomme ich das in einem Brief
meines Vaters, den er 1945 nach dem Krieg an das norwegische Generalkonsulat in
Hamburg geschrieben hat:
Ich selbst war 1939 zum Wehrdienst einberufen
worden, aus dem nach 1940 alle Mischlinge entfernt wurden, um zu Zwangsarbeiten
eingesetzt oder sogar in Konzentrationslager geschafft zu werden. Da ich mich
zu jener Zeit gerade in Norwegen befand und von meinen Eltern über die Verhältnisse
in Deutschland unterrichtet worden war, habe ich meine Abstammung verschwiegen.
Die zu unterschreibende Erklärung konnte ich umgehen, weil ich selbst auf dem
Geschäftszimmer tätig war. Auf diese Weise gelang es mir, mich bis zur
Kapitulation verborgen zu halten. 32
Seine Sorge war berechtigt. »Mischlinge« kamen als
Zwangsarbeiter zur »Organisation Todt« und in Konzentrationslager. Die
Rassenideologen der NSDAP erwogen neben Aussiedlung
und Deportation auch Zwangssterilisationen. Aber eigentlich wollte Hitler das
»Mischlingsproblem« im Sinne der »Endlösung« ganz aus der Welt schaffen.
Lillian und Helmut lernen sich kennen
April 1942
Als Lillian und ihre Familie am Mittwoch vor Ostern auf
der Hütte ankommen, ahnen sie nicht, dass der deutsche Unteroffizier Robert
Teschner der Einladung von John Berthung folgen wird.
Es ist zunächst wie immer am Steinsåsvann, der um diese Zeit noch
unter einer dicken Eisschicht liegt. Freunde und Bekannte kommen auf Skiern
vorbei, man trinkt Kaffee, der in diesen Zeiten allerdings nur Kaffeeersatz
ist, und freut sich, dass man beisammen sein kann.
Lillian hat sich einige Schulbücher mitgenommen, weil sie unbedingt
noch deutsche und englische Vokabeln für die Handelsschule lernen muss.
Am Karsamstag macht sich Annie nach Harstad auf. Ein Metzger hat
seinen Kunden eine Extraration Fleisch in Aussicht gestellt. Und in einem
Obstgeschäft soll eine Lieferung Äpfel aus Hardanger angekommen sein. Auf der
anderen Seite des Sees wartet ein Bekannter, um Annie mit dem Auto in die Stadt
zu fahren.
John sitzt in der Stube auf einem der blauen Holzstühle mit den
gedrechselten Beinen und liest. Manchmal geht sein Blick über den Rand des
Buches hinweg – nach draußen, wo Bjørn, sein Sohn, in dem Schneehaus spielt,
das die beiden gestern gebaut haben.
In der Küche spülen Lillian und Pus das Frühstücksgeschirr. Am
Steinsåsvann ist der Alltag mühsamer als in der Stadt. Es gibt kein fließendes
Wasser. Und jetzt im Winter, wenn alles zugefroren ist, muss man erst Löcher in
das dicke Eis bohren, um an das Wasser zu kommen. Das ist allerdings auch sehr sauber,
denn aus dem Steinsåsvann versorgt sich Harstad mit Trinkwasser.
Durch das Küchenfenster sehen die Schwestern plötzlich, wie zwei
Männer auf ihre Hütte zulaufen. Die beiden erreichen die Veranda und schnallen
ihre Skier ab. Die Männer tragen keine Uniform, sondern sind in Zivil. Lillian
weiß dennoch sofort Bescheid: »Du, Pus, das sind die Deutschen, die Papa
neulich eingeladen hat!«
Es klopft an der Tür, und die Mädchen hören, wie der Vater aufsteht
und öffnet. In der Küche bekommen sie mit, wie der eine den anderen vorstellt
und wie man sich auf Deutsch unterhält. Pus, die nichts versteht, will
unbedingt wissen, worüber sie sprechen. »Papa erzählt, dass Mama in die Stadt
gefahren ist, um mehr Proviant zu holen, und seine beiden Töchter auf ihn
aufpassen. Hör nur, wie sie lachen«, sagt Lillian. Pus ist neugierig geworden.
Sie geht einfach ins Wohnzimmer.
»Das ist übrigens meine Tochter Eileen, die alle aber Pus nennen!«
John nickt Pus aufmunternd zu. Die Zwölfjährige reicht den Männern ein bisschen
verlegen die Hand. Zuerst
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