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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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1. Kapitel
Dienstag, 9. April 1912
     
    Gladys erkannte sofort, dass Phil und sie in eine Falle gelockt worden waren. Bereits beim Abendessen hatte sie das Gefühl gehabt, dass irgendetwas nicht stimmte. Doch Phil, der sich in seinen Gedanken wohl schon auf der Reise nach Amerika befand, hatte es nicht bemerkt.
    Es passierte, als sie das Lokal verließen, dass plötzlich mehrere Männer sie umringten; zwei oder drei kamen von der Straße, doch die anderen waren Phils Freunde, mit denen sie eben noch zusammengesessen hatten.
    »Finger weg!«, zischte Phil, als der Erste der Männer Hand an ihn legte, aber gegen die Übermacht seiner Feinde, die eben noch Vertraute gewesen waren, kam er nicht an. Schon hatten die Männer sie an den Bordsteinrand gedrängt, wo zwei Silver Ghost mit der Spirit of Ecstasy als Kühlerfigur mit laufenden Motoren warteten, und durch die geöffnete Tür des vorderen Wagens stießen sie Phil in den Fond.
    Gladys erging es nicht anders. Fast gleichzeitig griffen Männerhände nach ihren Armen, und einige Augenblicke später fand sie sich auf der Rückbank des zweiten Wagens wieder, der sich unverzüglich hinter dem ersten Automobil in den Straßenverkehr schob.
    »Warum tut ihr das?«, rief Gladys erzürnt. »Haltet an und lasst mich raus!«
    Sie saß eingekeilt zwischen zwei grobschlächtigen Kerlen, die ihr unbekannt waren und auf ihren Protest nicht reagierten. Von diesen Männern erhoffte sie sich keine Hilfe, wohl aber von dem Dritten im Wagen, von Jeffrey, dem Fahrer, der ihr als einer von Phils besten Freunden bekannt war, aber auch dieser blieb still.
    »Jeffrey! Hast du nicht gehört?«
    »Tut mir leid, Gladys«, gab Jeffrey zurück und warf ihr einen Blick durch den Rückspiegel zu. »Ich habe meine Befehle.«
    »Befehle? Was für Befehle?«
    Jeffrey antwortete nicht.
    »He, ich habe dich was gefragt? Es hat dir niemand etwas zu befehlen, außer Phil, aber der ist gerade nicht hier!«
    »Du weißt, was mir blüht, wenn ich mich nicht an die Anweisungen halte, Gladys«, sagte Jeffrey. »Also lass mich in Ruhe!«
    Gladys sah, dass sie in die Tower Bridge Road eingebogen waren, wo sie hinter einem der neuen Autobusse herfuhren. Die nächtliche Straße war belebt; Straßenbahnen, Omnibusse und Mietdroschken waren unterwegs, und auf den Bürgersteigen sah man zahllose Passanten.
    »Wer hat dir Anweisungen gegeben?«
    Jeffrey reagierte nicht; unverwandt sah er durch die Windschutzscheibe nach vorn.
    »Das Ganze ist ein böser Scherz, nicht wahr, Jeffrey?«
    »Es geht nicht gegen dich, Gladys, also sei vernünftig und bleib ruhig«, sagte er. »Es ist das Beste, was du für dich tun kannst. Sei tapfer, es geht vorbei.«
    Mit einem Gefühl von Bestürzung und Panik registrierte Gladys ihre Machtlosigkeit. Sie empfand ihre Hilflosigkeit umso eindringlicher, weil sie sich inmitten dieser Stadt der glitzernden Lichter ereignete, einer Stadt, von der sie gedacht hatte, dass sie sie beschützen würde; aber nun erinnerte sie sich daran, dass London in Wahrheit ein Ort voller Schrecken und Rätsel war, aller Glanz nur ein Trugbild über einem Abgrund, der diejenigen, die sorglos über seine rissige Oberfläche wandelten, täuschte. Wie hatte sie nur die bedrohliche, monströse Unmenschlichkeit dieser Stadt aus den Augen verlieren können? London war blind für menschliche Not.
    »Klar geht es vorbei, aber am Ende bin ich tot oder was, Jeffrey?«
    Der Fahrer des Silver Ghost blickte stumm auf den Straßenverkehr.
    »Bitte, Jeffrey, antworte mir doch! Wohin fahren wir?«
    Die Themse kam in Sicht, ein blaues, von schwarzen Schatten gesäumtes Band, tückisch und gefährlich, mit dem schaurigen Aussehen von Schwärze und gespiegeltem Licht. Die Unermesslichkeit Londons schien ihren Schatten erdrückend auf den Fluss zu werfen.
    »Jeffrey, fahr an den Straßenrand!«, gab Gladys nicht auf. »Das ist auch ein Befehl! Phil wird sehr ärgerlich sein, wenn ich ihm erzähle, wie du mich behandelt hast.«
    »Du wirst kaum die Gelegenheit haben, mit ihm darüber zu sprechen«, erwiderte Jeffrey, »und wenn du jetzt nicht still bist, Gladys, werde ich den beiden Herren an deiner Seite befehlen, sie sollen dafür sorgen, dass du mich nicht länger beim Fahren störst.«
    Die beiden Silver Ghost rollten über die Tower Bridge mit ihren gotischen Brückentürmen, und Gladys schwieg. Dann erreichten die Wagen die alten Hafenanlagen der St. Katherine Docks, von wo aus sie sich weiter nach Osten wandten in Richtung

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