Halten Sie sich für schlau?: Die berüchtigten Testfragen der englischen Elite-Universitäten (German Edition)
von Libby Purves
Wenn man jemandem Fragen stellt, insbesondere in einem wichtigen Vorstellungsgespräch, versucht man zweierlei herauszufinden: Erstens prüft man das Wissen des Bewerbers – das lässt sich leicht bewerkstelligen. Zweitens möchte man ergründen, wie der andere denkt, und das ist schwieriger zu ermitteln. Wie arbeitet der Verstand des Befragten? Folgt er schlicht den Gleisen logischen Denkens? Oder schwebt er hoch über jedem Thema und blickt mit Adleraugen hinab? Vielleicht schlägt er auch Haken wie ein aufgeschrecktes Kaninchen (das ist bei mir leider allzu häufig der Fall). Dieser Aspekt ist wichtig, um zu entscheiden, ob man einen Kandidaten an einer Universität aufnimmt oder als Mitarbeiter einstellt: Man muss sich ein Bild davon machen, wie der Bewerber mit Unerwartetem umgeht.
Das also ist die Sichtweise des Prüfers. Der ist natürlich im Vorteil: Er leitet das Verfahren und hat das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Manchen Anwärtern verschlägt es vor Verblüffung die Sprache, andere dagegen reagieren mit bemerkenswerter Gelassenheit. Ein junger Student soll bei einer Aufnahmeprüfung einem philosophischen Rätsel äußerst souverän begegnet sein – auf die Einstiegsfrage »Ist dies eine Frage?« antwortete er gelassen: »Nun, wenn das hier eine Antwort ist, dann muss es wohl eine gewesen sein, oder?« Eine solche Entgegnung würde den meisten von uns nicht einfallen – zumindest nicht spontan. Tatsächlich steht uns das Fachwissen, das wir uns über Jahre hinweg mühsam angeeignet haben, gelegentlich sogar im Weg. Selbst die besten Studenten der Ingenieurwissenschaften sind bei Fragen wie »Kann ein Thermostat denken?« oft ratlos. Wer jedoch ruhig und gelassen bleibt, verrät mit seiner Antwort vielleicht, dass er über sein technisches Wissen hinaus tieferen Einblick in das Wesen eines Thermostaten besitzt.
Auch Fragen wie »Sind Sie ein Roman oder ein Gedicht?« lassen manchen straucheln. Ein wacher Verstand bringt aber die richtige Antwort hervor. Schon ein flockiges »Ehrlich gesagt bin ich irgendetwas zwischen Rap-Text und Gebrauchsanweisung« verrät ein gutes Maß an Selbsterkenntnis. Wenn man gebeten wird, »einem Marsmenschen einen Löffel zu beschreiben«, setzt – wie in diesem Buch nachzulesen sein wird – eine sinnvolle Antwort voraus, dass man sich über den Körperbau des Marsmenschen Gedanken gemacht hat. Kann er hören? Sehen? Etwas greifen? Wenn der Marsmensch nur aus Gehirn besteht, eingeschlossen in einem Felsen, muss man weiter ausholen: Man muss erst erklären, was Finger sind, bevor man zum Löffel kommt.
Tatsächlich gehören Fragen, wie man einem Marsmenschen etwas erklären könnte, zu meinen Favoriten, denn sie gemahnen uns daran, dass Beredsamkeit, Stilsicherheit, Klugheit und Bildung gar nichts nützen, wenn wir gegenüber unseren Zuhörern und deren Möglichkeiten, Sachverhalte zu begreifen, vollkommen unsensibel sind. Diese Erkenntnis sollte vor allem Romanautoren, Journalisten und Lehrern in Fleisch und Blut übergehen.
Die Fragen, die John in diesem Buch zusammengetragen hat, sind alles andere als müßig. Ein neugieriger, forschender Verstand kann sich nicht auf eine einzige wissenschaftliche Disziplin stützen. Physiker müssen philosophisch denken, Philosophen tatsächliche Gegebenheiten berücksichtigen. Historiker, Mediziner und Mathematiker müssen fähig sein, Werte grob zu überschlagen, um empirische Daten zu prüfen.
Gesunder Menschenverstand ist hilfreich, schränkt das Denken aber auch ein. In einem Bewerbungsgespräch hilft es wenig, auf Fragen wie »Wie würden Sie das Gewicht Ihres Kopfes messen?« oder »Warum kann man in einem Raumschiff keine Kerze anzünden?« konsterniert mit »Warum um Himmels willen sollte ich das tun wollen?« zu antworten. Solche Antworten sind in der Tat nur in den seltensten Fällen hilfreich.
Vor allem die Zulassungskomitees der renommierten Universitäten von Oxford und Cambridge – kurz: Oxbridge – werden für ihre scheinbar absurden Fragestellungen häufig kritisiert. Meiner Meinung nach ist diesbezüglich Nachsicht geboten. Schließlich gibt es keinen Hinweis darauf, dass diejenigen, die mit den skurrilen Fragen am besten zurechtkommen, auch tatsächlich aufgenommen werden. Verstehen Sie dieses Buch bitte auch nicht als Geheimrezept dafür, wie man einen Studienplatz an einer Eliteuniversität oder einen Traumjob ergattert. Es beschäftigt sich mit den faszinierenden Denkmustern, die
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