Es bleibt natürlich unter uns
„schreibern“ anstatt „Schmierern“, was sie fraglos auszusprechen die Absicht gehabt hatte. — Er war drauf und dran, grob zu werden. Was bildete sich dieses Frauenzimmer denn eigentlich ein! Wer war sie, daß sie es sich erlaubte, ihn und seinen Beruf so herabsetzend zu behandeln! Zeitungsschm...! Das M brannte wie eine Ohrfeige in seinem Gesicht. Aber auch der Ausdruck Zeitungsschreiber klang in ihrem Mund wie eine Herabwürdigung.
„Was haben Sie gegen die Zeitungsschreiber?“ fragte er mit einer bösen Falte zwischen den Brauen. „Übrigens nennen wir uns im allgemeinen Redakteure oder Schriftleiter...!“
„Beleidigt?“ fragte sie und funkelte ihn mit ihren graugrünen Augen und den goldenen Lichtem darin von unten herauf an: „es lag wahrhaftig nicht in meiner Absicht. Aber Herr Böhlke hat Ihnen kein gut bestelltes Arbeitsfeld hinterlassen. Die Stadt atmete auf, als er ging — oder vielmehr, gegangen wurde.“
Er hatte keine Ahnung davon, was geschehen war. Sein zukünftiger Chef, Herr Alois Lobmüller, Besitzer der Zeitung und der Buch- und Steindruckerei Johann Lobmüller & Sohn, hatte ihm lediglich erklärt, daß er seinen Vorgänger, Herrn Emil Böhlke, ,wegen verschiedener Sauereien’ herauszuschmeißen gezwungen sei. Auf nähere Einzelheiten hatte er sich nicht eingelassen. Und Lothar Lockner hatte natürlich keine weiteren Fragen nach den Gründen für die Entlassung gestellt. Ihm konnte es nur recht sein, denn schließlich war es Herr Böhlke, dem er diese Chance verdankte.
„Ein Hallodri, ein Schlawiner, ein Erpresser...“
„Höhöhö!“ stieß er hervor.
„Genau das!“ blitzte sie ihn an „Er hat Glück gehabt, daß er ohne Schaden davongekommen ist. Eines Tages hätten sie aus ihm Kleinholz gemacht!“
„Wer?“ fragte er ungläubig und leicht belustigt. Ihre resolute Art gefiel ihm gut.
„Nun — alle möglichen Leute... an erster Stelle die BMW — die Bäcker und Metzger und Wirte...“
„Gegessen, getrunken, gescherzt und gelacht — und hinterher die Rechnung zu zahlen vergessen, wie?“
„Das weniger...“
„Na was denn sonst?“
Nun, Herr Böhlke nahm Bierproben nach Hause mit und ließ sie chemisch untersuchen. Er kaufte Brötchen bei den Bäckern und wog sie sorgfältig ab. Er holte sich ein Stück Wurst beim Metzger und ließ es auf seinen Wassergehalt untersuchen...“
„Na, erlauben Sie!“ grinste er, „ein Wohltäter der Menschheit! Was haben Sie gegen den Mann einzuwenden?“
„Tschi!“ machte sie und lachte durch die Nase, „Wohltäter der Menschheit...! Wenn er geschmiert wurde, hielt er den Mund. Für die andern aber, die ihn nicht schmierten und ihre Sünden nicht mit Wurstpaketen oder mit Geld zudeckten, hatte er eins kleine Spalte im ,Anzeiger’ eingerichtet. Die Spalte ,Wissen Sie eigentlich?’ Und da las man dann am Morgen zum Beispiel: Wissen Sie eigentlich, daß es in Aldenberg einen Metzger T. R. gibt, der es fertigbringt, Wurst aus Wasser zu machen? Außer dem Wassergehalt von vierzig Prozent ergab die chemische Analyse aber auch die sehr bedenkliche Tatsache, daß das zur Wurst verwendete Brät starke Verunreinigungen aufweist. — Oder: Wissen Sie eigentlich, daß die Semmeln des Bäckermeisters O. T. höchst selten das Gewicht von vierzig Gramm erreichen?“
„Und das ist wahr?“ fragte ich ziemlich erschüttert, und auf ihr eifriges Ja fügte er hinzu: „Ich meine nicht die Tatsache, daß die Brötchen gewogen und zu leicht befunden wurden, — sondern daß Herr Böhlke sich schmieren ließ?“
„Das weiß die ganze Stadt! Aber ich weiß es aus sicherster Quelle, nämlich von den Betroffenen selber. Es sind zum größten Teil Onkel und Vettern von mir. Sie können sich ja denken, daß man in solch einem kleinen Nest, besonders wenn die Familie dort seit Generationen ansässig ist, mit der halben Stadt verwandt, verschwägert oder sonst irgendwie versippt ist.“
„So klein ist doch Aldenberg eigentlich gar nicht. Fast dreizehntausend Einwohner...“
„Ach, das sind Zahlen aus dem Lexikon“, unterbrach sie ihn; „ich möchte mit Ihnen wetten, daß Sie in drei Monaten jedes Gesicht und die Geschichte und die Geschichten von jedem Menschen kennen, der in Aldenberg auch nur eine kleine Rolle spielt. Dazu brauchen Sie sich nur an einen Stammtisch zu setzen.“
„Ich bin ein miserabler Kartenspieler und trinke selten mehr als zwei Halbe. Aber die Wette, die Sie mir vorgeschlagen haben, möchte ich gern mit Ihnen
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