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Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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streifte ihr Haar sein Gesicht. Die kitzelnde Berührung durchfuhr ihn wie ein kleiner elektrischer Schlag. Der Zug ging in eine große Kurve. Jo Klapfenberg streckte die Hand vorsorglich nach einem Halt aus.
    „Merkwürdig, daß man in der Bahn immer so geschwätzig wird“, meinte sie; es klang, als bereue sie ihre Gesprächigkeit.
    „Ich finde, das ist noch das Versöhnliche an der Eisenbahn. Auch wenn ich ein Auto hätte, ich würde sie immer wieder einmal benutzen. Schon aus Dankbarkeit..
    Sie sah ihn fragend ein.
    „Na, immerhin verdanke ich der Bahn Ihre Bekanntschaft.“
    Er verstand nicht, was sie darauf erwiderte, aber er sah, daß sie die Schultern ein wenig hob und wieder fallen ließ. Der Zug ratterte über Weichen, die Gleisanlagen verbreiterten sich, Signalmaste klirrten vorüber, und hinter Hecken, die den Bahndamm einsäumten, tauchten die ersten Häuser von Aldenberg auf; ein paar Villen in Gärten, die noch kahl und brach lagen, auf der anderen Seite Güterschuppen und Lagerhäuser. Die Bremsen zogen zischend und kreischend an.
    „Sagen Sie, Fräulein Klapfenberg“, bat er hastig, und eine Blutwelle färbte sein Gesicht dunkler, „wäre es nicht möglich, diese Zufallsbekanntschaft fortzusetzen?“
    Sie hob das Gesicht zu ihm empor, ihre Zungenspitze glitt blitzschnell über die spröde Oberlippe: „Ich habe Ihren Namen nicht recht verstanden...“
    „Lockner — Lothar Lockner...“
    „Ich bin verlobt, Herr Lockner“, sagte sie, und es klang merkwürdig trotzig; es klang, als sei sie sich der Tatsache ihrer Verlobung selber noch nicht ganz sicher; und wie zur Bestätigung seines Eindrucks von dieser Verlobung fügte sie hinzu: „Oder so gut wie verlobt!“
    Es lag ihm auf der Zunge, zu sagen, daß er nicht die Absicht habe, ihrem Bräutigam ins Gehege zu kommen, — aber da es eine glatte Lüge gewesen wäre, verzichtete er lieber auf jedes Wort.
    Sie zögerte ein wenig, aber dann reichte sie ihm doch die Hand: „Auf Wiederschaun, Herr Lockner. Die Zeit ist rasch vergangen. Aber das war wohl nicht ganz Ihr Verdienst. — Sie brauchen Onkel Alois nicht zu erzählen, daß Sie mich getroffen haben. — Und alles Gute für Ihren Einstand in Aldenberg...“
    „Ich danke Ihnen...“
    Sie entzog ihm ihre Hand: „Vielleicht treffen wir uns einmal wieder... Es wird fast zwangsläufig geschehen...“
    „Hoffentlich!“ sagte er feurig und wollte ihren Koffer nehmen, aber sie riß ihm das gute Stück fast aus der Hand.
    „Das fehlte noch gerade!“ rief sie, „nein, nein, — und auf die Gefahr hin, von Ihnen für verrückt gehalten zu werden, muß ich Sie bitten, den Wagen nicht mit mir zusammen zu verlassen. Ja, es wäre mir lieb, wenn Sie aus einem anderen Wagen aussteigen würden...“
    Er sah sie ziemlich fassungslos aus großen Augen an.
    „Sie kennen Aldenberg nicht!“ murmelte sie, und er glaubte, das Knirschen ihrer weißen Zähne zu hören.
    „Sie jagen mir ja geradezu Angst ein…“, sagte er kopfschüttelnd und einigermaßen betroffen. — Der Zug hielt. Sie nahm den Koffer, drückte die Tür auf und sprang gewandt auf den Bahnsteig Er blieb sekundenlang stehen, hörte den hallenden Ruf der Schaffner: Aldenberg! und kletterte ein wenig später aus einem anderen Abteil des Wagens aus dem Zuge. Er konnte es nicht unterlassen, ihr heimlich nachzuspähen, wie sie zur Sperre eilte, wo sie von einem Herrn erwartet wurde, der in seinem Alter stehen mochte.
    Der Ähnlichkeit nach konnte es nur ihr Bruder Ernst — Haushalt- und Küchenartikel — sein. Es fiel dem jungen Mann nicht ein, ihr den Koffer abzunehmen. Es war eben der Bruder und kein Kavalier. — Lothar Lockner warf seinen Mantel schwungvoll über die Schultern, drückte den Hut kühn auf den Hinterkopf und hielt mit achtundzwanzig Mark in der Tasche in Aldenberg Einzug. Das Pflaster der Bahnhofstraße kam ihm plötzlich nicht mehr so glatt vor, wie er es in Erinnerung hatte.

    *

    Das ursprüngliche Aldenberg, das Aldenperch ob der Achen, wie es in den ältesten Urkunden hieß, bestand aus einer einzigen gedrungenen Straße mit engbrüstigen, gotischen Häusern, die sich dicht an das nördliche Steilufer des Flusses schmiegte. In der Eiszeit hatte sich die Ache durch ein mächtiges Urstromtal gewälzt, das sich weit nach Süden öffnete. Jetzt erinnerte sie sich noch im Frühjahr an ihre stürmische Jugend, wenn sie das eisige, lehmgelbe Schmelzwasser des Kaisergebirges gegen die steinernen Brückenpfeiler schmetterte.

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